Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
wenn wir beide draufgehen. Kudla zog los, ging auf einen Hügel zu, erblickte dort einen Graben und in dem Graben – es klingt wie ein billiger Roman – Wasser! Kudla warf sich bäuchlings nieder und trank und trank! (Erst am Morgen gewahrte er in dem Tümpel Kaulquappen und Wasserpflanzen.) Mit gefüllter Wärmflasche kehrte er zu Duschetschkin zurück: «Ich hab dir Wasser gebracht!» Duschetschkin glaubte nicht, trank – und glaubte noch immer nicht. (Während Kudla unterwegs war, hatte er im Wahn schon vermeint zu trinken …) Sie schleppten sich zu dem Graben, blieben dort liegen und tranken.
Nach dem Trinken regte sich der Hunger. Doch in der folgenden Nacht überquerten sie einen Höhenzug und betraten das Tal der Verheißung: Fluß, Wiesen, Büsche, Pferde, Leben. Als es dunkel wurde, schlich sich Kudla an die Pferde heran und tötete eines. Sie tranken das Blut direkt aus den Wunden. (Friedensanhänger! Ihr habt in jenem Jahr geräuschvolle Tagungen in Wien und Stockholm abgehalten, ihr habt Cocktails mit Strohhalmen geschlürft. War euch nicht bekannt, daß die Landsleute des Versedichters Tichonow und des Journalisten Ehrenburg Pferdekadaver aussaugen? Haben euch die beiden nicht davon erzählt? Haben sie euch nicht erklärt, daß auf sowjetisch FRIEDEN so verstanden wird?)
Mit Pferdefleisch versorgt, das sie über Feuer brieten, marschierten sie weiter.
Von nun an trafen sie häufig auf Gewässer. Kudla fing einen Hammel und stach ihn ab. Einen ganzen Monat waren sie schon auf der Flucht! Der Oktober ging zu Ende, es wurde kalt. In einem Wald (der erste, in den sie kamen) fanden sie eine Erdhütte und richteten sich dort ein: Sie konnten sich nicht entschließen, dieses gesegnete Land zu verlassen. Sie blieben auch deshalb, weil die Heimat in ihnen keine Sehnsucht weckte, ihnen kein ruhigeres Leben verhieß – und darin lag die Ziel-und Aussichtslosigkeit ihrer Flucht.
Nächtens unternahmen sie Beutezüge in das nahegelegene Dorf. Einmal trugen sie einen Kessel davon, einmal brachen sie eine Vorratskammer auf und entwendeten Mehl, Salz, Geschirr und ein Beil. Ein andermal entführten sie eine Kuh aus dem Dorf und schlachteten sie im Wald. Doch dann fiel Schnee, und sie mußten in ihrer Erdhütte bleiben, um sich nicht durch Spuren zu verraten. Kudla versuchte einmal, Reisig zu holen. Kaum hatte er den Unterschlupf verlassen, als ein Förster ihn bemerkte und zu schießen begann: «Seid ihr die Diebe? Habt ihr die Kuh gestohlen?» In der Nähe der Erdhütte fanden sich Blutspuren. Man brachte die beiden ins Dorf und setzte sie hinter Schloß und Riegel. Die Menge schrie empört: «Niederschießen auf der Stelle, ohne Erbarmen!» Doch der Untersuchungsrichter aus der Stadt kam mit dem Fahndungsbefehl und verkündete den Dorfbewohnern: «Tüchtige Burschen! Ihr habt keine Diebe, sondern politische Schwerverbrecher gefangen!»
Und mit einem Schlag wandelte sich die Szene. Niemand rief mehr nach Vergeltung. Der Besitzer der Kuh – ein Tschetschene, wie sich herausstellte – brachte den Festgenommenen Brot, Hammelfleisch und sogar Geld, das die Tschetschenen gesammelt hatten. «Ach», sagte er, «wärst gekommen und hättest gesagt, wer du bist, ich hätte dir alles von selbst gegeben!» (Das kann man gut glauben, das ist tschetschenische Art.) Und Kudla brach in Tränen aus. Nach so viel Jahren Getretenwerden kann das Herz Mitgefühl nicht fassen.
Man brachte die Verhafteten nach Kustanai, in die Bahnhofszelle, wo man ihnen nicht nur alles abnahm (und selbst behielt), was sie von den Tschetschenen bekommen hatten, sondern auch jede Nahrung verweigerte ! (Und Kornejtschuk hat euch auf dem Weltfriedenskongreß nichts davon berichtet?) Vor dem Abtransport ließ man sie auf dem Bahnsteig kniend warten, die Hände auf dem Rücken gefesselt, vor allen Menschen.
Würde das in Moskau, Leningrad, Kiew oder in einer anderen besseren Stadt geschehen, alle würden vorbeigehen.
Doch die Kustanaier hatten nicht viel zu verlieren, sie waren selbst alle Entrechtete, Belastete oder Verbannte. Bald hatten sich Menschen um die Arrestanten gesammelt, sie warfen ihnen Machorka, Zigaretten, Brot zu. Kudlas Hände waren auf dem Rücken gefesselt, so beugte er sich mit dem ganzen Körper nach dem Brot, um davon abzubeißen – der Konvoisoldat stieß es ihm mit dem Stiefel aus dem Mund. Kudla warf sich herum und kroch wieder auf das Brot zu – der Stiefel schubste es weiter! (Ihr progressiven Filmregisseure, die ihr
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