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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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werden kürzer – sie müssen daher einen Tag wählen, an dem die Abendkontrolle bereits in die Dämmerung fällt, nach Sonnenuntergang, aber noch vor Postierung der Hunde um die Zone. Diese wenigen Minuten gilt es zu nützen, denn wenn die Hunde postiert sind, gibt es aus der Zone kein Entkommen.
    Sie entscheiden sich für Sonntag, den 17. September. Der Sonntag ist arbeitsfrei, man kann Kräfte sammeln, in Ruhe die letzten Vorbereitungen treffen.
    Die letzte Nacht vor der Flucht! Du kommst nicht viel zum Schlafen! Gedanken, viele Gedanken … Werde ich morgen um diese Zeit überhaupt noch leben? … Vielleicht nicht mehr. Aber soll ich denn im Lager bleiben, den langen Tod eines Kümmerlings neben der Kloake sterben? … Nein, du darfst dich erst gar nicht an den Gedanken gewöhnen, daß du ein Gefangener bist.
    Für dich gilt: Bist du bereit zum Tod? Ja. Dann bist du auch bereit zur Flucht.
    Ein strahlender Sonntag bricht an. Tenno und Schdanok haben für den ganzen Tag Ausgangserlaubnis, um ihren Sketch zu proben.
    Mit dem Proviant steht es schlecht. In der Regimebaracke leben sie von der Lagermilch. Brot horten könnte Verdacht erregen. Sie rechnen allerdings damit, daß sie in der Siedlung einen Wagen kapern können und rasch weiterkommen. Doch Tenno erhält am selben Tag auch ein Paket von seiner Mutter, als wollte sie ihm ihren Segen zur Flucht geben. Traubenzuckertabletten, Makkaroni, Haferflocken – das kommt in die Aktentasche für unterwegs.
    Dann gilt es noch eine «Katjuscha» aufzutreiben – ein Feuerstahl und eine Röhre mit einem Docht darin, das ist auf der Flucht besser als Zündhölzer.
    Es wird Abend. Die Sonne geht unter. Der große, bedächtige Tenno und der kleine, wendige Kolja Schdanok werfen sich die Lagerjacken um, nehmen die Aktentasche (im Lager hat man sich schon an ihre wunderliche Erscheinung gewöhnt) und beziehen ihre Startposition – im Gras zwischen den Baracken, unweit der Zone, direkt gegenüber einem Wachtturm. Für die zwei anderen Wachttürme sind sie durch die Baracken verdeckt. Sie haben nur diesen einen Wachtposten vor sich. Sie breiten ihre Lagerjacken aus, lassen sich nieder und beginnen Schach zu spielen, um den Wachtposten an ihren Anblick zu gewöhnen.
    Es dämmert. Das Signal zur Abendkontrolle ertönt. Die Häftlinge strömen zu den Barackeneingängen. Es ist schon ziemlich dunkel, der Wachtposten auf dem Turm wird kaum wahrnehmen können, daß die zwei im Gras zurückgeblieben sind. Außerdem geht sein Dienst zu Ende, und er ist nicht mehr so aufmerksam. Vor der Wachablösung ist es leichter zu türmen.
    Sie haben vor, den Stacheldraht nicht irgendwo in diesem Zonenabschnitt zu durchschneiden, sondern direkt neben dem Wachturm. Der Posten schaut eher über die Zone hinweg als unter seine Füße.
    Sie heben die Köpfe kaum übers Gras, außerdem herrscht Dämmerdunkel, sie können also ihren Fluchtweg nicht überblicken. Doch sie haben ihn beizeiten ausgespäht: Gleich hinter der Zone ist eine Grube für einen Mast ausgehoben, dort können sie sich kurz hineinducken; danach kommen einige Schlackenhügel; und dann – die Straße von der Kaserne in die Siedlung.
    Sie haben vor, als erstes in der Siedlung einen Wagen zu kapern. Zum Beispiel, einen Wagen aufhalten, zum Chauffeur sagen: Willst dir was verdienen? Wir müssen zwei Kisten Wodka aus Alt-Ekibastus herüberschaffen. Welcher Chauffeur sagt schon nein, wenn es was zum Trinken gibt?! Ein bißchen handeln: Halben Liter? Liter? Na gut, dann fahr los, aber zu niemandem ein Wort! Und dann unterwegs ihn im Fahrerhaus überwältigen, in die Steppe hinausbringen und gefesselt liegen lassen. Sie selbst würden die Nacht durchfahren bis zum Irtysch, dort aussteigen, mit einem Boot den Fluß überqueren und Richtung Omsk marschieren.
    Es ist noch dunkler geworden. Auf den Wachttürmen werden die Scheinwerfer eingeschaltet, sie leuchten den Zonenstreifen aus, die beiden Ausbrecher liegen vorläufig im Schattenbereich. Das ist der Augenblick! Bald werden die Wachen abgelöst und die Hunde für die Nacht postiert.
    In den Baracken wird schon Licht gemacht. Man sieht, wie die Seki nach der Kontrolle die Zimmer betreten. Schön dort in den Baracken? Warm, behaglich … Und dich durchsiebt schon im nächsten Augenblick eine MP-Salve, und bitter ist, daß du dabei wehrlos am Boden liegst.
    Nur nicht husten unter dem Wachtturm.
    Also, dann Augen und Ohren auf, ihr Wachhunde! Tut eure Arbeit, wir tun unsere!

7
Das weiße

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