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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Tage zu verweilen (heiße «Suppe» gibt es erst am dritten Tag). In den ersten Minuten glaubst du: Das halte ich keine halbe Stunde durch. Wundersamerweise jedoch bringt der Mensch seine fünf Tage hinter sich; möglich natürlich, daß er sie mit einer lebenslangen Krankheit bezahlt.
    Der Karzer kann verschiedene Spielarten haben: Feuchtigkeit, Wasser am Boden. Schon nach dem Krieg mußte Mascha G. im Gefängnis von Tschernowitz bloßfüßig zwei Stunden bis zu den Knöcheln in eisigem Wasser stehen – gestehe, gestehe! (Sie war achtzehn, wie leid es einem da um die Beine ist, und wie lange man noch damit zu leben hat!)
    25. Soll das Eingesperrtwerden in einer brustschmalen Nische als Abart des Karzers betrachtet werden? Bereits 1933 wurde S. A. Tschebotarjow in der Chabarowsker GPU so gefoltert: Sie steckten ihn nackt in eine Betonnische, so daß er die Knie nicht beugen, die Arme nicht ausstrecken, den Kopf nicht bewegen konnte. Dem war noch nicht genug! Kaltes Wasser begann auf seinen Scheitel zu tropfen (wie aus einem Dreigroschenheft!) und in kleinen Bächlein an seinem Körper herabzurinnen. Natürlich hatten sie ihm nicht gesagt, daß es nur 24 Stunden dauern würde. Da kann einem schon angst werden – wie auch immer, er verlor das Bewußtsein, tags darauf holten sie ihn scheinbar tot heraus; im Krankenrevier brachten sie ihn mit Salmiakgeist, Koffein und Herzmassage wieder zu sich. Er konnte lange nicht begreifen, woher er kam und was ihm gestern geschehen war. Einen Monat lang war er sogar für die Verhöre untauglich.
    26. Der Hunger wurde bei der Beschreibung der kombinierten Druckmittel bereits erwähnt. Es ist kein ungebräuchliches Mittel: das Geständnis aus dem Häftling herauszuhungern. Im Grunde ist das Element des Hungers ebenso wie die Verwendung der Nacht zum Bestandteil des gesamten Erpressungssystems geworden. Die karge Gefängnisration, im krieglosen Jahr 1933 – 300 Gramm Brot, 1945 in der Lubjanka – 450, das launische Spiel, nach Belieben die Pakete von draußen zurückzuhalten oder auch den Einkauf im Gefängnisladen zu verbieten – dies wird an ausnahmslos allen angewandt, ist ein Universalmittel. Daneben gibt es manche verschärfte Hungermethode: so für Tschulpenjow, den sie nach einem Monat Hungerration (100 Gramm) aus der Grube zum Verhör holten, dem dort der Untersuchungsrichter Sokol einen Topf mit dickem Borschtsch vorsetzte, dazu einen halben Laib Weißbrot, schräg durchschnitten (man möchte meinen, es wäre egal, wie’s geschnitten war, doch Tschulpenjow besteht auch heute noch darauf: es sei besonders verlockend geschnitten gewesen) – aber kein einziges Mal davon zu essen gab. Wie alt das doch alles ist, feudal, höhlenmenschlich! Darin das einzige Novum, daß es in einer sozialistischen Gesellschaft Verwendung fand. – Über ähnliche Methoden wissen auch andere zu berichten, die waren Usus. Wir wollen wieder einen Fall von Tschebotarjow erzählen, weil er so trefflich kombiniert war. Sie setzten ihn für 72 Stunden ins Verhörzimmer und erlaubten ihm lediglich – das Austreten. Ansonsten durfte er: nicht essen, nicht trinken (vor ihm ein Wasserkrug), nicht schlafen. Im Zimmer waren ständig drei Untersuchungsrichter anwesend. Sie arbeiteten in drei Schichten. Der eine schrieb ohne Unterlaß (dies schweigend, ohne den Häftling zu belästigen), der zweite schlief auf dem Diwan, der dritte ging im Zimmer auf und ab und schlug auf Tschebotarjow ein, sobald der einschlief. Dann tauschten sie ihre Funktionen. (Vielleicht waren sie selbst zu dieser Arbeit strafversetzt worden?) Da ging plötzlich die Tür auf, und Tschebotarjow ward ein Festmahl serviert: fetter ukrainischer Borschtsch, Steak mit Röstkartoffeln und eine Kristallkaraffe mit Rotwein. Den Wein rührte Tschebotarjow aus angeborenem Widerwillen gegen Alkohol nicht an, so sehr ihn der Untersuchungsrichter dazu auch aufforderte (direkt zwingen konnte er ihn nicht, das hätte das Spiel verdorben). Nach dem Essen sagten sie ihm: «Jetzt unterschreibe aber, was du vor zwei Zeugen ausgesagt hast »! – das heißt, was der schweigsame in Anwesenheit des einen schlafenden und des anderen wachen Richters zusammengeschrieben hat. Von der ersten Seite an erfuhr Tschebotarjow, daß er als Intimus sämtlicher prominenter japanischer Generäle von diesen Aufträge zu erfüllen bekommen hatte. Er begann Seite um Seite durchzustreichen. Wurde verprügelt und hinausgeworfen. Anders der mit ihm gemeinsam verhaftete

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