Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
der alles ertragen hat, seine Pein und die seiner Frau, aber die Leiden der Tochter nicht ertragen konnte? … 1930 übte sich die Untersuchungsrichterin Rimalis in solcher Drohung: «Wir verhaften Ihre Tochter und stecken sie zu Syphilitikerinnen in die Zelle!» Eine Frau! …
Sie drohen, alles einzusperren, was Ihnen lieb ist. Manchmal mit Tonuntermalung: Deine Frau ist schon eingesperrt, aber ihr weiteres Schicksal hängt von dir ab. Eben wird sie in der Nebenzelle verhört: Hör nur! Und tatsächlich, da wimmert jemand und schreit (es ist nichts genau zu unterscheiden, noch dazu durch die Wand, und deine Nerven sind aufs äußerste gespannt, du gibst einen schlechten Beobachter ab; manchmal legen sie bloß eine Platte auf, irgendwessen Rationalisierungsvorschlag: Stimme «Durchschnittsgattin», Sopran oder Alt). Dann aber zeigen sie sie dir «ganz in echt» durch die Glastür, wie sie still über den Gang geht, den Kopf jammervoll gesenkt – sie ist’s! Deine Frau! Im Gang des Staatssicherheitsdienstes! Du hast sie ins Unglück gestürzt, dein Starrsinn war’s! Sie ist verhaftet! (In Wahrheit hat man sie einer nichtigen Formalität wegen vorgeladen, zur vereinbarten Zeit über den Korridor geschickt, aber: «Daß Sie ja den Kopf nicht heben, sonst bleiben Sie da!») – Oder sie geben dir ihren Brief, die Handschrift stimmt: Ich sage mich von dir los! Nach allem, was man mir Abscheuliches von dir erzählt hat, will ich nichts mehr von dir wissen! (Da solche Frauen gleichwie solche Briefe in unserem Land gar nicht undenkbar sind, bleibt dir einzig, dein Herz zu prüfen: Ist sie auch von dieser Art, deine Frau?)
So wie keine Klassifizierung in der Natur mit starren Grenzen auskommen kann, so wird es auch uns nicht gelingen, die psychischen Methoden gegen die physischen eindeutig abzugrenzen. Wohin zum Beispiel mit diesem netten Spielchen:
10. Methode Lärm. Den Untersuchungshäftling in sechs bis acht Meter Entfernung hinsetzen und alles laut nachsagen und wiederholen lassen. Einem ohnedies erschöpften Menschen fällt es nicht leicht. Oder zwei Schalltrichter aus Pappendeckel machen und zu zweit dem Arrestanten in beide Ohren brüllen: «Gestehe, du Schweinehund!» Das Opfer ist betäubt, verliert oft das Gehör. Die Methode ist zwar ineffizient, aber trotzdem eine willkommene Abwechslung im verhörerischen Einerlei, dem zu entgehen sich ein Untersuchungsrichter schon was Passendes einfallen läßt.
11. Methode Kitzeln. Auch ein Spaß. Sie binden Arrestanten an Armen und Beinen und kitzeln ihn in der Nase mit einer Gänsefeder. Der Arme windet sich, ihm ist, als bohrten sie ihm durchs Gehirn.
12. Zigarette ausdrücken, wozu die Haut des Häftlings dient (wurde bereits erwähnt).
13. Methode Licht. Grelles elektrisches Licht in der Zelle, tags und nachts, starke Glühbirnen für kleine Räume und weißgetünchte Wände (die Schüler und Hausfrauen draußen müssen Strom sparen!). Die Lider sind entzündet, ein arger Schmerz. Und beim Verhör brennen einem wieder Scheinwerfer ins Gesicht.
14. Ein erfinderischer Einfall. Tschebotarjow wurde in der Ncht zum 1. Mai 1933 in der Chabarowsker GPU eine ganze Nacht, zwölf Stunden lang – nicht verhört, nein – zum Verhör geführt ! Häftling Soundso – Hände auf den Rücken! Der Wachsoldat führt ihn aus der Zelle, eine Treppe hinauf, ins Arbeitszimmer des Untersuchungsrichters. Der Wachsoldat geht weg. Der Untersuchungsrichter aber stellt keine Fragen, läßt Tschebotarjow auch nicht niedersetzen, greift sofort zum Telefon: «Abholen aus Nummer 107!» Er wird abgeholt, zurück in die Zelle gebracht. Kaum daß er sich auf die Pritsche gelegt hat, rasselt das Schloß: «Tschebotarjow! Zum Verhör! Hände auf den Rücken!» Und dann wieder: «Nummer 107 – abholen!»
Überhaupt können die Druckmethoden lange vor dem Verhörzimmer beginnen.
15. Das Gefängnis beginnt mit der Box, was soviel heißt wie: Kasten oder Schrank. Wenn sie einen gerade erst geschnappt haben und man noch so ganz im Schwung der inneren Bewegung ist, bereit zu erklären, zu streiten, zu kämpfen, stecken sie einen fürs erste in einen Kasten; der kann Licht und Platz zum Sitzen haben oder auch dunkel sein und so eng, daß der Neuankömmling darin nur stehen kann, dazu noch eingezwängt von der Tür. Darin lassen sie ihn einige Stunden, zwölf, vierundzwanzig, schmoren. Stunden kompletter Ungewißheit! – Vielleicht ist er für immer hier eingemauert? In seinem ganzen Leben war ihm
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