Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
einschlafen und der Länge lang hinfallen sollte). Manchmal genügen 24 Stunden im Stand, damit der Mensch zusammenbricht und alles mögliche gesteht.
20. Gewöhnlich kriegt man bei all diesen Standstrafen drei-vier-fünf Tage lang nichts zu trinken.
Immer klarer zeichnet sich die Kombinierbarkeit der psychologischen und physischen Methoden ab. Selbstverständlich ist auch, daß alle vorher genannten Maßnahmen mit
21. Schlafverbot gekoppelt werden, welches vom Mittelalter ganz ungebührend mißachtet wurde: Es wußte nichts von den knappen Ausmaßen jenes Bereichs, in dem der Mensch seine Persönlichkeit bewahrt. Schlaflosigkeit (noch verbunden mit Sitzverbot, Durst, grellem Licht, Angst und Ungewißheit – ach was, Folter!) trübt den Verstand und untergräbt den Willen, der Mensch hört auf, sein «Ich» zu sein. (Tschechows Erzählung Schlafen …, doch dort ist’s viel leichter, das kleine Mädchen kann sich niederkauern, und schon ganz kurze Bewußtseinspausen erfrischen wohltuend das Gehirn.) Der Mensch agiert halb unbewußt oder vollends unkontrolliert, so daß wir ihm wegen seiner Aussagen nicht böse sein dürfen.
Sie sagten es unumwunden: «Sie wollen nicht aufrichtig sein, darum ist es Ihnen verboten zu schlafen!» Manchmal wurde der Raffinesse halber nicht das Stehen verordnet, sondern das Sitzen auf einem weichen Diwan, was besonders zum Schlafen einlädt (der diensthabende Wärter saß daneben und puffte den Betroffenen in die Seite, sobald dem die Augen zufielen). Folgendermaßen beschreibt ein Opfer (das den vorherigen Tag zudem in einer Wanzenbox abgesessen hatte) seine Empfindungen nach dieser Folter: «Schüttelfrost nach dem großen Blutverlust. Die Augen sind ausgetrocknet, als hielte jemand ein glühendes Eisen daran. Die Zunge ist vor Durst angeschwollen und sticht bei der leisesten Bewegung wie ein Igel. Schluckkrämpfe schnüren einem die Kehle zu.»
Die Schlaflosigkeit ist eine beachtenswerte Foltermethode, eine, die keinerlei sichtbare Spuren hinterläßt, keinen Vorwand für Beschwerden gibt, mag auch morgen schon wider allem Erwarten eine Inspektion hereinbrechen. «Sie haben nicht schlafen dürfen? Ja, glauben Sie denn, wir haben hier ein Sanatorium ?! Unsere Mitarbeiter haben auch nicht geschlafen!» (Das Versäumte aber tagsüber nachgeholt.) Man kann sagen, daß das Schlafverbot zum Universalmittel der Organe wurde; aus der Sparte der Folter ging es in die eigentliche Geschäftsordnung des Staatssicherheitsdienstes über und wurde darum mit den billigsten Mitteln erzielt, ohne Bedarf an Wachpersonal. In keinem Untersuchungsgefängnis darf vom Wecken bis zum Zapfenstreich auch nur eine Minute geschlafen werden (in der Suchanowka und einigen weiteren wird die Pritsche tagsüber hochgeklappt, in den anderen darf man sich einfach nicht hinlegen, nicht einmal im Sitzen die Lider senken). Die wichtigsten Verhöre aber geschehen immer nachts. So geht es automatisch: Wer gerade in Untersuchung steht, kommt zumindest fünf Tage in der Woche nicht zum Schlafen (in den Wochenendnächten wollen sich auch die Untersuchungsrichter mal ausruhen).
22. In Weiterentwicklung des Vorherigen – das Vernehmungsfließband. Nicht nur, daß du nicht schläfst, du wirst auch noch drei, vier Tage und Nächte lang ununterbrochen von einander ablösenden Untersuchungsrichtern verhört.
23. Die bereits erwähnte Wanzenbox, ein dunkler Bretterverschlag mit einer hundertköpfigen, tausendköpfigen Wanzenzucht. Mit nacktem Oberkörper wird der Delinquent hineingestoßen, im Nu haben die hungrigen Wanzen von ihm Besitz ergriffen, fallen gierig über ihn her, stürzen sich von der Decke auf ihn herunter. Am Anfang kämpft er erbittert, schlägt um sich, glaubt in ihrem Gestank zu ersticken; nach einigen Stunden sinkt er kraftlos zusammen und läßt sich widerstandslos aussaugen.
24. Der Karzer. Wie schlimm es in der Zelle auch sein mag, im Karzer ist’s immer noch schlimmer; von dort besehen erscheint jede Zelle als Paradies. Im Karzer wird der Mensch durch Hunger und gewöhnlich durch Kälte geschunden (in der Suchanowka gibt es auch heiße Karzer). Die Karzer in Lefortowo, zum Beispiel, werden überhaupt nicht beheizt, Heizkörper stehen nur im Gang draußen, und in diesem «geheizten» Gang machen die Wärter in Filzstiefeln und Wattejacken Dienst. Der Arrestant aber wird bis auf die Wäsche, manchmal bis auf die Unterhosen, ausgezogen; so hat er regungslos (es ist zu eng) einen Tag, drei Tage, fünf
Weitere Kostenlose Bücher