Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
daß sie mich so empfangen! daß sie mich so betrügen! daß es mir so ergehen würde!
Nur die Wlassow-Leute seufzten nicht: «Ach, hätt ich’s doch gewußt» (denn sie hatten gewußt, was sie auf sich nahmen), nur sie machten sich keine Hoffnung auf Gnade, keine Hoffnung auf eine Amnestie.
Noch lange bevor sich unsere Wege unerwartet auf den Gefängnispritschen kreuzten, hatte ich von ihnen gewußt und, was ich wußte, zu fassen versucht.
Zuerst waren es die mehrmals durchnäßten und mehrmals getrockneten Flugzettel, die sich im hohen, drei Jahre nicht gemähten Gras des Frontgebiets von Orjol verloren hatten. Sie meldeten die im Dezember 1942 erfolgte Gründung eines gewissen Smolensker «russischen Komitees», das entweder eine Art russischer Regierung zu sein beanspruchte oder auch nicht. Vermutlich waren sich die Deutschen selbst darüber noch nicht im klaren, und die zaghafte Meldung klang deshalb sogar wie eine einfache Finte. Auf dem Flugzettel war General Wlassow abgebildet, darunter stand sein Lebenslauf. Das Gesicht auf dem unscharfen Foto schien Sattheit und Erfolg auszustrahlen wie bei sämtlichen Generälen unserer neuen Prägung.
Dieses Foto machte es einem unmöglich zu glauben, daß man einen hervorragenden Mann vor sich hatte oder einen, dem Rußlands Wohl seit langem schwer am Herzen lag. Und der Flugzettel gar, der die Schaffung der ROA, der «Russischen Befreiungsarmee», verkündete – er war nicht nur in einem ungenießbaren Russisch geschrieben, sondern auch noch in einem fremden – und unverkennbar deutschen – Geiste, auch noch ohne echtes Interesse für die Sache, dafür aber mit um so mehr Prahlerei, die drüben zu erwartende üppige Kost und die muntere Stimmung ihrer Soldaten betreffend. Das Ganze war unglaubwürdig, na, und die fröhliche Stimmung – wenn’s die Armee überhaupt gab –, das war doch gelogen … Auf die Idee konnte nur der Deutsche gekommen sein.
Es gab tatsächlich fast bis zum Ende des Krieges gar keine ROA. Schon der Name und auch das Ärmelabzeichen waren eine Erfindung eines Deutschen russischer Abstammung, des Hauptmanns Strik-Strikfeldt von der Ostpropaganda-Abteilung. (Trotz seiner unbedeutenden Stellung besaß er einen bestimmten Einfluß und versuchte, die Hitlersche Obrigkeit von der Notwendigkeit eines deutsch-russischen Bündnisses zu überzeugen, aber auch Russen für die Zusammenarbeit mit Deutschland zu gewinnen. Ein beidseitig vergebliches Unterfangen! Beide Parteien trachteten einzig danach, einander auszunutzen und hinters Licht zu führen. Die Deutschen besaßen dazu jedoch Positionen auf den Höhen – die Macht, den Wlassow-Offizieren blieb das Phantasieren am Grunde der Schlucht.) Eine Armee dieser Art gab es nicht, hingegen wurden antisowjetische Militärformationen aus früheren sowjetischen Bürgern seit den ersten Kriegsmonaten aufgestellt. Als erste meldeten die Litauer ihre Hilfsbereitschaft für die Deutschen an (das eine Jahr unter unserer Herrschaft muß ihnen gar übel bekommen sein!); dann wurde aus ukrainischen Freiwilligen die SS-Divison «Galizien» gebildet; es folgten die estnischen Abteilungen; im Herbst 1941 die Schutzkompanien in Bjelorußland; und auf der Krim die tatarischen Bataillone. (Und es war dies alles von uns gesät! Auf der Krim zum Beispiel durch die zwanzig Jahre der stumpfsinnigen Moscheenstürmerei; wir mußten sie schließen und zerstören, während die weitblickende Eroberin Katharina staatliche Subventionen für den Bau und die Erweiterung der Moscheen auf der Krim erteilt hatte. Auch die Hitlerdeutschen hatten Grips genug, die Heiligtümer beim Einmarsch unter ihren Schutz zu nehmen.) Später tauchten auf deutscher Seite kaukasische Verbände und Kosakentruppen (mehr als ein Reiterkorps) auf. Schon im ersten Kriegswinter wurden Züge und Kompanien aus russischen Freiwilligen aufgestellt. Hier allerdings machte sich beim deutschen Kommando starkes Mißtrauen bemerkbar, weswegen dann nur die Unteroffiziere Russen sein durften – die Feldwebel und Leutnants waren deutscher Provenienz, desgleichen die Kommandos («Achtung!», «Halt!» u. a.). Wesentlichere und bereits komplett russische Verbände waren: die in Lokot im Brjansker Gebiet ab November 1941 gebildete Brigade (der dortige Maschinenbauprofessor K. P. Woskoboinikow rief eine «Nationale Russische Partei der Arbeit» mit dem heiligen Georg als Schutzpatron aus und erließ ein Manifest an die Bürger des Landes).
Daß es gegen uns allen
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