Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
Ernstes Russen gab und daß sie verbissener kämpften als selbst die SS, bekamen wir bald zu spüren. Im Juli 1943 beispielsweise verteidigte vor Orjol ein Zug von Russen in deutscher Uniform den Flecken Sobakinskije Wyselki. Sie schlugen sich mit einer solchen Verzweiflung, als wenn sie diese Gehöfte mit eigenen Händen erbaut hätten. Einer verschanzte sich im Keller, unsere Leute bewarfen ihn mit Handgranaten, dann blieb er gerade so lange ruhig, bis sich der Nächste hinuntertraute. Erst als eine Panzergranate hineingeballert worden war, entdeckte man, daß er auch noch im Keller ein Loch hatte, in dem er sich vor den Detonationen der gewöhnlichen Granaten versteckte. Man stelle sich den Grad der Betäubung und Hoffnungslosigkeit vor, in dem er diesen seinen letzten Kampf focht.
Auch der unbezwingbare Brückenkopf am Dnjepr südlich von Kursk wurde, ein weiteres Beispiel, von ihnen gehalten; zwei Wochen dauerten die erfolglosen Kämpfe um einige hundert Meter, grimmige Kämpfe bei ebenso grimmigem Frost (Dezember 1943). In der Verwunschenheit der mehrtägigen Winterschlacht standen wir einander gegenüber, hüben und drüben Menschen in Tarnmänteln, die unsere Uniformen verdeckten, und es trug sich bei Malyje Koslowitschi, so erzählte man mir, folgendes zu. Zwei Männer krochen im Schnee, sprangen hoch und verloren die Richtung, und lagen nebeneinander unter einer Fichte und schossen, nicht mehr begreifend, wohin, einfach drauflos. Beide hatten sowjetische MPs. Sie borgten einander Patronen, lobten einen guten Schuß und fluchten über die eingefrorene Schmiere der Maschinenpistolen. Schließlich war das Zeug endgültig verklemmt, eine Rauchpause tat not, sie streiften die Kapuzen ab – und siehe da: der eine hatte einen Adler, der andere einen Stern auf der Mütze. Sie sprangen auf! Die MPs schossen nicht! Trotzdem – wie mit Holzschlegeln droschen sie damit aufeinander ein, eine wilde Jagd begann, da ging’s nicht um Politik, nicht um das heilige Vaterland, das war einfaches steinzeitliches Mißtrauen: Wenn ich ihn verschone, bringt er mich um.
Es war in Ostpreußen, einige Schritte von mir entfernt marschierten am Straßenrand drei gefangene Wlassow-Leute mit ihrer Wache, während auf der Chaussee gerade ein T-34 vorbeiratterte. Plötzlich riß sich einer der Gefangenen los und warf sich mit einem wilden Satz flach unter den Panzer. Der Fahrer verriß das Fahrzeug, trotzdem wurde der Mann von einer Raupe erfaßt. Er wand sich noch, roter Schaum brach ihm aus dem Mund. Und man konnte ihn verstehen! Den Soldatentod zog er dem Galgen vor.
Man hatte ihnen keine Wahl gelassen. Sie durften nicht anders kämpfen. Dieser Ausweg war ihnen versperrt: vorsichtiger mit dem eigenen Leben umzugehen. Wenn bei uns schon die «reine» Gefangenschaft als unverzeihlicher Vaterlandsverrat gewertet wurde, wie stand es dann erst um jene, die die Waffen des Feindes führten? Ihr Verhalten aber wurde in der uns eigenen Holzhammerpropaganda mit, erstens, Treulosigkeit (biologisch? blutsbedingt?) und, zweitens, Feigheit erklärt. Nein, nur nicht Feigheit! Der Feigling sucht, wo’s Vorteile und Nachsicht gibt. Der Anstoß aber, in die Wlassow-Verbände der Wehrmacht zu gehen, konnte nur äußerste Notwehr gewesen sein, nur eine jenseits des Erträglichen liegende Verzweiflung, nur ein unstillbarer Haß gegen das Sowjetregime, nur die Mißachtung des eigenen Heils. Denn das wußten sie, daß ihnen hier kein Schimmer von Gnade winkte! Von den unseren wurden sie sofort erschossen, kaum daß man vom Gefangenen das erste deutliche russische Wort vernahm. In der russischen Gefangenschaft erging es, genauso wie in der deutschen, den Russen am allerschlimmsten.
Überhaupt hat uns dieser Krieg offenbart, daß es auf Erden kein schlimmeres Los gibt, als Russe zu sein.
Ich schäme mich, wenn ich mich daran erinnere, wie ich damals, während der Erschließung (lies Plünderung) des Kessels von Bobruisk, als ich zwischen den zerschossenen und umgekippten deutschen Kraftwagen, den herrenlosen deutschen Lastgäulen und dem rundherum verstreuten erbeuteten Luxus einherschlenderte, plötzlich jemanden rufen hörte: «Herr Hauptmann! Herr Hauptmann!», und in einer Niederung, in der deutsche Troßwagen und Autos steckengeblieben waren und das eben Erbeutete in Brand gesteckt wurde, den Mann sah, der mich da in reinstem Russisch um Hilfe anflehte, einen Mann in deutschen Uniformhosen, aber mit nacktem Oberkörper, überall Blut an ihm, im
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