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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Gesicht, auf der Brust, auf den Schultern, am Rücken – und den Sergeanten vom Sonderdienst hoch zu Rosse, der ihn mit Peitschenhieben und mit der Kruppe seines Pferdes vor sich her trieb. Er ließ die Knute auf den nackten Leib des Opfers sausen, daß es sich nicht umsah, nicht um Hilfe rief; er trieb den Mann vorwärts und schlug auf ihn ein, immer neue blutige Striemen in seine Haut prügelnd.
    Es war nicht der Punische, nicht der Griechisch-Persische Krieg! Jeder machtbefugte Offizier einer jeden beliebigen Armee hätte der mutwilligen Mißhandlung Einhalt gebieten müssen. Einer jeden beliebigen – ja, bloß auch der unseren? … Bei der Erbarmungslosigkeit und Absolutheit unseres zweipoligen Klassifizierungssystems? (Wer nicht mit uns ist, folglich gegen uns, der falle der Verachtung und Vernichtung anheim.) Kurz gesagt: Ich war ZU FEIGE, den Wlassow-Mann vor dem Sonderdienstler in Schutz zu nehmen, ICH HABE NICHTS GESAGT UND NICHTS GETAN, ICH GING VORBEI, ALS OB ICH NICHT GEHÖRT HÄTTE – damit die allseits geduldete Pest nur ja nicht auf mich übergreife. (Was, wenn der Wlassow-Mann ein Superbösewicht ist? Was, wenn der Sergeant glaubt, ich sei …? Was wenn …?) Ja, einfacher noch: Wer die damalige Atmosphäre in unserer Armee kennt – ob sich der Sonderdienstler von einem simplen Hauptmann auch etwas hätte befehlen lassen?
    Und so wurde ein wehrloser Mann wie ein Stück Vieh weitergetrieben, und der Mann vom Sonderdienst hörte nicht auf, mit wutverzerrtem Gesicht auf ihn einzupeitschen.
    Dieses Bild ist mir für immer geblieben. Denn es ist beinahe ein Symbol des Archipels und würde bestens auf den Buchumschlag passen.
    Das alles hätten sie vorausgeahnt und im voraus gewußt – und sich trotzdem auf den linken Ärmel der deutschen Uniformjacke das weiß-blaurot umkantete Schild mit dem weißen Andreasfeld und den Buchstaben ROA genäht.
    Die Buchstaben lernte man allmählich kennen, die Armee aber blieb nach wie vor nicht existent, die Einheiten waren verstreut, verschiedenen Instanzen unterstellt, und Wlassows Generäle spielten derweilen in Dahlem bei Berlin Preference. Die Brigade Woskoboinikows, bzw. nach dessen Tode Kaminskis, zählte Mitte 1942 fünf mit Artillerie bestückte Infanterieregimenter zu je zweieinhalb-bis dreitausend Mann, ein Panzerbataillon mit zwei Dutzend sowjetischen Panzern und eine Artilleriedivision mit rund dreißig Geschützen. (Das Kommando lag in den Händen von kriegsgefangenen Offizieren, die Mannschaft wurde im wesentlichen aus ortsansässigen Freiwilligen rekrutiert.) Und die Brigade hatte das Gebiet um Brjansk von Partisanen freizuhalten … Zum selben Zwecke wurde die Brigade von Gil-Blaschewitz im Sommer 1942 aus Polen (wo sie sich durch Grausamkeiten gegen Polen und Juden ausgezeichnet hatte) nach Mogilew verlegt. Anfang 1943 lehnte sich ihr Kommando dagegen auf, der Befehlsgewalt Wlassows unterstellt zu werden, da es in dem von ihm verkündeten Programm den «Kampf gegen das Weltjudentum und die verjudeten Kommissare» vermißte; schließlich waren es wiederum dieselben Rodionow-Leute (Gil hatte seinen Namen in «Rodionow» geändert), die im August 1943, als sich Hitlers Niederlage abzuzeichnen begann, ihre schwarze Fahne mit dem silbernen Totenkopf in eine rote umwandelten und den von ihnen besetzten nordöstlichen Winkel von Bjelorußland zum freien Partisanenland mit wiederhergestellter Sowjetmacht erklärten. (Über dieses Partisanengebiet begann man dazumal in unseren Zeitungen zu berichten, ohne das Woher und Wieso zu erklären. Später wurden alle überlebenden Rodionow-Leute eingesperrt.) Na, und wen haben die Deutschen gegen die Rodionow-Brigade eingesetzt? Die Brigade Kaminskis, niemand anderen! (Im Mai 1944 auch noch dreizehn ihrer Divisionen, um das «Partisanenland» auszuradieren.) Das war’s, was die Deutschen von all diesen bunten Kokarden, dem St.-Georgs-Kreuz samt dem Andreaswappen hielten. Die Sprache der Russen und die der Deutschen waren gegenseitig unübersetzbar, unausdeutbar, niemals auf einen Nenner zu bringen. Schlimmer noch: Im Oktober 1944 wurde die Kaminski-Brigade (zusammen mit mohammedanischen Einheiten) von den Deutschen gegen das aufständische Warschau eingesetzt. Während die einen Russen arglistig hinter der Weichsel schlummerten und den Untergang Warschaus durch Feldstecher beäugten, metzelten andere Russen den Aufstand nieder. Als ob die Polen im 19. Jahrhundert nicht Böses genug von den Russen erfahren hätten,

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