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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Kongressen versammelten, wo russisch gesprochen wurde; daß die Emigrantenmänner nicht die Fähigkeit verloren, Emigrantenfrauen zu heiraten und mit diesen Kinder zu zeugen, die somit unsere Altersgenossen waren.
    Die Vorstellung, die wir im Lande über die Emigranten eingepaukt bekamen, war derart falsch, daß bei einer imaginären Massenbefragung: «Auf wessen Seite standen die Emigranten im Spanischen Bürgerkrieg? Im Zweiten Weltkrieg?» wohl alle wie aus einem Munde geantwortet hätten: «Auf Francos! Auf Hitlers!» In unserem Lande weiß man ja bis heute nicht, daß es viel mehr Weißemigranten in den Reihen der Republikaner gegeben hatte. Daß sowohl die WlassowDivisionen als auch das Kosakenkorps des von Pannwitz (die «Krasnow-Leute») aus sowjetischen Bürgern bestanden und am allerwenigsten aus Emigranten, denn die Emigranten wollten mit Hitler nichts zu tun haben; einsam und von allen abgelehnt blieben Mereschkowski und die Hippius, weil sie für Hitler Partei ergriffen hatten. Als witzige Anekdote – oder auch gar nicht als solche – sei erzählt, daß Denikin sich eifrig bemühte, auf seiten der Sowjetunion gegen Hitler ins Feld zu ziehen und daß Stalin eine Zeitlang nahe daran war, ihn in die Heimat zurückzuholen (offensichtlich nicht gerade als militärische Kapazität, eher schon als Symbol der nationalen Einigung). Während der deutschen Besetzung stießen viele russische Emigranten, ob jung, ob alt, zur französischen Résistance; und nach der Befreiung von Paris standen sie vor der Sowjetischen Botschaft Schlange, um die Heimführung zu beantragen. Was immer geschehen war, Rußland bleibt Rußland! – das war ihre Parole, und sie bewiesen damit, daß sie ihre Liebe zu ihm auch früher ehrlich gemeint hatten. (In den Gefängnissen von 1945/46 waren sie fast so was wie glücklich darüber, daß diese Gitter und diese Aufseher – unsere russischen Gitter und Aufseher waren; verständnislos starrten sie auf die sowjetischen Jünglinge, die sich im nachhinein verdattert fragten: «Was, zum Teufel, hatten wir das nötig? Als ob uns Europa zu klein war!?»
    Dieselbe Stalinsche Logik, die jeden Sowjetmenschen für lagerreif erklärte, der eine Weile im Ausland verlebt hatte, brachte den Emigranten das gleiche Los. Wie hätte es sie nicht treffen sollen? Sobald sowjetische Truppen in eine Stadt einzogen, ob am Balkan, in Mitteleuropa oder in Charbin, begann die Aktion: Man schnappte sie in ihren Wohnungen und auf der Straße, es waren ja keine Fremden. Fürs erste wurden nur die Männer verhaftet und nicht einmal alle, sondern wer sich im politischen Sinne exponiert hatte. (Die Familien wurden später in die altbewährten russischen Verbannungsorte gebracht, ein Teil blieb zurück, in der Tschechoslowakei, in Bulgarien.) Aus Frankreich, wo man ihnen mit Blumen und Ehren die Staatsbürgerschaft verlieh, wurden sie mit allem Komfort in die Heimat eskortiert; das Verknasten wurde vor Ort erst besorgt. Langwieriger wickelte sich die Sache mit den Schanghai-Emigranten ab, die waren 1945 noch außer Reichweite. Da fuhr ein Bevollmächtigter der sowjetischen Regierung hin und verkündete einen Erlaß des Obersten Sowjet: Vergessen und verziehen sei alles Emigrantentum! Wer wollte dem mißtrauen? Eine Regierung soll lügen?! (Ob es den Erlaß gegeben hat oder nicht, den Organen war er allemal kein Geheiß.) Die Schanghaier bekundeten ihre Begeisterung. Sie dürften, so hieß es, jede Menge und jede Art von Sachen mit sich nehmen (sie verfrachteten ihre Autos, das kam der Heimat zugute); sich in der Sowjetunion ansiedeln, wo immer sie wollten; beliebige Berufe ausüben, versteht sich. In Schanghai ging’s aufs Schiff. Doch schon das Schicksal der Schiffe war unterschiedlich: auf manchen gab’s, wer weiß, warum, kein Essen. Unterschiedlich war auch der weitere Weg aus dem Hafen Nachodka (einem der wichtigsten Umschlagplätze des GULAG). Fast alle wurden in Güterzüge verladen: wie Häftlinge, bloß die strenge Bewachung und die Hunde fehlten noch. Von da ging es mit den einen in besiedelte Regionen, in Städte, wo sie tatsächlich für zwei-drei Jahre von der Leine gelassen wurden. Die anderen fuhren geradewegs ins Lager; der Zug hielt irgendwo noch vor der Wolga mitten im Wald, und da hieß es aussteigen und den steilen Bahndamm hinunter, samt den weißen Klavieren und Blumentischchen. In den Jahren 1948/49 wurde dann der letzte fernöstliche Emigrantenkehricht schön sauber in die Lager gefegt.

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