Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
werden:
in Analogie (welche Möglichkeiten!);
einfach wegen seiner Herkunft (7,35, d. i. Zugehörigkeit zu einem sozialgefährlichen Milieu);
wegen des Unterhaltens von Beziehungen mit gefährlichen Personen (eine großzügige Palette! Und nur der Richter weiß, worin die Beziehungen bestehen und welche Person als gefährlich zu erachten ist).
Eins darf man nicht: von den edierten Gesetzen Genauigkeit verlangen. Es erschien am 13. Januar 1950 ein Ukas über die Wiedereinführung der Todesstrafe (die aus den Kellern der Lubjanka vermutlich niemals vertrieben worden war). Da stand geschrieben, daß unterminierende Diversionsakte mit dem Tode bestraft werden könnten. Was soll das heißen? Darüber stand nichts. Ein Faible von Väterchen Jossif Wissarionowitsch: nicht zu Ende zu sprechen, anzudeuten. Soll es sich bloß um die handeln, die Minen an Eisenbahngeleisen anbringen? Um Mineure ? Das wird verschwiegen. «Saboteur», das kennen wir schon lange: Wer Ausschuß produziert, ist eben ein Saboteur. Aber ein Unterminierer ! Wenn einer zum Beispiel in der Straßenbahn gesprächsweise die Autorität der Regierung unterminiert ? Oder ein Mädchen einen Ausländer heiratet? – Ist’s nicht als Unterminierung der Würde unserer Heimat zu werten? …
Es richtet ja keineswegs der Richter, der Richter kassiert lediglich das Gehalt, das Richten besorgt die Instruktion. Instruktion von 1937: zehn – zwanzig – Tod durch Erschießen. Instruktion von 1943: zwanzig – Zwangsarbeit – Tod durch den Strang. Instruktion von 1945: durchgehend zehn plus fünf Aberkennung der Bürgerrechte (eine Arbeitskraft für insgesamt drei Fünfjahrespläne). Instruktion von 1949: durchgehend fünfundzwanzig.
Die Maschine stempelt. Wer einmal verhaftet ist, verliert alle seine Rechte schon mit den Knöpfen, die sie ihm an der Schwelle des GB von den Kleidern schneiden. Der Verurteilung kann er nicht entgehen. Und die Rechtskundler haben sich so daran gewöhnt, daß sie sich 1958 unsterblich blamierten, indem sie in der Presse den Entwurf der neuen «Grundlagen des Strafrechtsverfahrens in der UdSSR» veröffentlichen ließen und darin die Möglichkeit eines Freispruchs zu vermerken vergaßen ! Das Regierungsorgan erteilte eine zarte Rüge: «Es könnte der Eindruck entstehen, als ob unsere Gerichte ausschließlich Schuldsprüche fällten.»
Andererseits klingt es vom Standpunkt der Juristen auch wieder plausibel: Warum eigentlich soll das Ende eines Verfahrens in zwei Varianten möglich sein, wenn bei allgemeinen Wahlen nur für einen Kandidaten gestimmt wird? Ein Freispruch, das ist doch ein ökonomischer Nonsens! Das würde doch heißen, daß die Spitzel, die Verhafter, die Verhörer, die Staatsanwälte, die Gefängniswachen und die Begleitkonvois allesamt für nichts gearbeitet hätten.
Hier ist ein einfacher und typischer Fall fürs Tribunal.
1941 sahen sich die operativen Sonderdienstabteilungen unserer inaktiven, in der Mongolei stationierten Truppen zu besonderer Reg-und Wachsamkeit veranlaßt. Dies machte sich ein schlauer Feldscher namens Losowski zunutze, der den begründeten Verdacht hegte, daß sich ein ihm nahestehendes Frauenzimmer mit dem Leutnant Pawel Tschulpenjow eingelassen hatte. Er stellte Tschulpenjow unter vier Augen einige Fragen:
1. «Was meinst du, warum wir vor den Deutschen zurückweichen?» (Tschulpenjow: «Sie besitzen die bessere Technik und haben früher mobilgemacht.» Losowski: «Nein, es ist ein Manöver, wir locken sie ins Landesinnere.»)
2. «Glaubst du an die Hilfe der Alliierten?» (Tschulpenjow: «Ich glaube, daß sie uns helfen werden, allerdings nicht selbstlos.» Losowski: «Betrügen werden sie uns, keinen Pfifferling ist ihre Hilfe wert.»)
3. «Warum wurde gerade Woroschilow zum Oberkommandierenden der Nordwestfront gemacht?»
Tschulpenjow gab seine Antwort und vergaß die Sache. Losowski aber schrieb eine Anzeige. Tschulpenjow wird in die Polit-Abteilung der Division geholt und wegen defätistischer Stimmungen, Hochschätzung der deutschen Technik, Geringschätzung der Strategie unserer Führung aus dem Komsomol ausgeschlossen. Das lauteste Wort führt der Komsomolorganisator Kaljagin (der sich bei Chalchin-Gol vor Tschulpenjow als Feigling aufgeführt hatte und den Zeugen nun billig und für immer loswerden will).
Die Verhaftung. Eine einzige Gegenüberstellung mit Losowski. Ihr damaliges Gespräch wird vom Untersuchungsrichter nicht zur Sprache gebracht. Die einzige Frage: «Kennen
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