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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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Sie diesen Mann?» – «Ja.» – «Zeuge, Sie können gehen.» (Der Untersuchungsrichter befürchtet, daß die Anklage sonst zusammenbricht.)
    Nach einmonatigem zermürbenden Sitzen in der Grube wird Tschulpenjow dem Tribunal der 36. Motorisierten Divison vorgeführt. Anwesend sind: Divisionskommissar Lebedew und Politchef Slessarjow. Der Zeuge Losowski wird nicht einmal vorgeladen. (Allerdings wird man nach der Verhandlung doch noch die Unterschriften von Losowski und von Kommissar Serjogin einholen, um dem Ganzen die erforderliche juristische Verbrämung zu geben.) Die Fragen des Gerichtshofes: Haben Sie mit Losowski Gespräche geführt? Was hat er Sie gefragt? Was haben Sie geantwortet? Tschulpenjow gibt treuherzig Auskunft, er weiß noch immer nicht, was er verbrochen haben soll. «Das sagen doch viele!» meint er naiv. Das Gericht läßt mit sich reden: «Wer sagt das? Nennen Sie Namen!» Aber Tschulpenjow ist nicht von ihrem Schlag! Sie geben ihm das letzte Wort. «Ich bitte das Gericht, meinen Patriotismus nochmals auf die Probe zu stellen. Ich bitte um einen Auftrag, der mit Todesgefahr verbunden ist.» Und fährt fort, der treuherzige Riese: «Für uns gemeinsam, für mich und für die, die mich verleumdet haben!»
    Hat man so was gehört! Solche ritterlichen Anwandlungen im Volk zu ersticken, gehört zu unserem Auftrag. Losowski hat Pillen zu verteilen, Serjogin die Soldaten zu erziehen. Auch ist es nicht wichtig, ob du stirbst oder nicht. Wichtig ist, daß wir auf der Wacht stehn.

8
Das Gesetz in den Kinderschuhen
    Wir vergessen alles. Wir merken uns nicht das Gewesene, nicht die Geschichte, sondern nur das gradlinige Muster, das man unserem Gedächtnis durch stetes Hämmern einzustanzen verstand.
    Ich weiß nicht, ob es eine Eigenschaft der gesamten Menschheit ist, aber eine unseres Volkes ist’s bestimmt. Eine mißliche Eigenschaft. Auch wenn sie von zuviel Gutmütigkeit herrühren sollte, ist sie mißlich und ärgerlich trotzdem. Zur leichten Beute macht sie uns für Lügner aller Art.
    Wenn’s also unerwünscht ist, daß wir uns sogar an öffentliche Prozesse erinnern, vergessen wir sie prompt. Unverhohlen war’s gesagt, in den Zeitungen stand es geschrieben, aber sie haben versäumt, uns eine Kerbe ins Hirn zu schlagen – und schon ist es vergessen. (Die Kerbe im Hirn kommt nur von dem, was tagtäglich aus dem Lautsprecher schallt.) Nicht die Jungen meine ich, die wissen’s nicht, sondern die Zeitgenossen jener Prozesse. Fragen Sie doch einen Durchschnittsbürger nach den spektakulären Schauprozessen – er wird den Bucharin-Prozeß, den Sinowjew-Prozeß nennen. Und nach einiger Anstrengung jenen der Industriepartei. Schluß, andere Schauprozesse gab es nicht.
    Sie begannen jedoch sofort nach dem Oktober. Sie wurden bereits 1918 en masse und in vielen Tribunalen geführt. Als es noch keine Gesetze, keine Strafgesetzbücher gab und als den Richtern als Richtschnur einzig die Bedürfnisse der Arbeiter-und Bauernmacht galten. Sie eröffneten, so schien es damals, die Zeiten furchtloser Gesetzlichkeit. Irgendwann wird sich irgendwer noch finden, ihre detaillierte Geschichte zu schreiben, wir aber wollen uns gar nicht erst vermessen, sie in unsere Untersuchung einzubeziehen.
Dieses Kapitel behandelt die öffentlichen Gerichtsverfahren, die in den ersten Jahren nach dem Erfolg der bolschewistischen Revolution durchgeführt wurden. Insbesondere werden fünf Verfahren von 1918 bis 1920 dargestellt. Anhand dieser kann man bereits die willkürliche Art der Anschuldigungen und die Zusammenarbeit von Staatsanwälten und Verteidigern gegen die Angeklagten ersehen.

9
Das Gesetz wird flügge
Dieses Kapitel beschreibt das Recht in den frühen zwanziger Jahren, «als es sich noch im Pfadfinderstadium befand». Ausführlich werden fünf Verfahren geschildert, darunter solche gegen prominente Führer der Kirche, die mit der Exekution der Angeklagten endeten. Ziel dieser Verfahren war es, die Unterdrückung und Plünderung der Kirche zu beschleunigen. Lenin verfaßte den politischen Abschnitt des Kriminalrechts. Dieser Teil war für das ganze Recht maßgeblich.

10
Das Gesetz ist reif
Dieses Kapitel führt das Thema der beiden vorangegangenen fort und behandelt vor allem drei Verfahren der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre. In dieser Zeit geraten loyale Ingenieure, selbst kommunistische Genossen, unter Beschuß.
    Der nachsichtige Leser sei mir gnädig! Bislang war meine Feder ohne Furcht und mein

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