Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
Sozialrevolutionären und Anarchisten ergatterten Ruhms. Jene, die Bombenwerfer und Verschwörer, kannten die Katorga und saßen ihre Fristen ab, aber eine richtige peinliche Untersuchung bekamen auch jene niemals zu spüren (weil es eine solche in Rußland überhaupt nicht gab). Diese wußten weder was von einer Untersuchung noch auch was von einer längeren Haft. Für die Bolschewiki hat es irgendeinen besonders harten Kerker, ein Sachalin, eine jakutische Katorga niemals gegeben. Von Dserschinski ist bekannt, daß ihn dies am härtesten getroffen hat: ein Leben im Gefängnis. Wolln wir’s aber nach unseren Normen berechnen, dann brachte er einen gewöhnlichen Zehner hinter sich, wie zu unserer Zeit ein beliebiger Kolchosbauer; ja, gewiß, drei Jahre Festungsarbeit gehörten zu jenem Zehner, na, uns bringt das heute auch nicht mehr aus der Fassung.
Die Parteiführer, die uns bei den Prozessen von 1936–38 vorgesetzt wurden, hatten in ihrer revolutionären Vergangenheit einige kurze und leichte Sitzzeiten aufzuweisen, einige Verschickungen von nicht allzulanger Dauer. Die Katorga haben sie nicht einmal gerochen. Bucharin hatte ein paar kleine Verhaftungen, jede ein Pappenstiel, nicht mehr; allem Anschein nach saß er kein ganzes Jahr in einem ab, war kurz mal in der Verbannung am Onegasee. Kamenew, der langjährige Agitationsreisende durch alle Städte Rußlands, verbrachte zwei Jahre im Gefängnis und dazu anderthalb in der Verbannung. Bei uns bekamen sogar sechzehnjährige Bürschlein als mindestes fünf aufgebrummt. Sinowjew, es ist zum Lachen, saß keine drei Monate und war nie abgeurteilt worden ! Gegen unsere simplen GULAG-Bewohner sind sie Küken ; was ein Gefängnis ist, wußten sie nicht. Rykow und I. N. Smirnow waren mehrmals verhaftet, saßen jeder so an die fünf Jahre ab, doch stets irgendwie sehr leicht; aus allen Verbannungsorten konnten sie mühelos fliehen, dann wieder erreichte sie eine gerade fällige Amnestie. Von einem wirklichen Gefängnis, von den Krallen einer ungerechten Untersuchung hatten sie, bevor sie auf die Lubjanka kamen, nicht die leiseste Vorstellung. (Die Annahme, daß sich Trotzki, wäre er in diese Krallen geraten, anders, weniger devot verhalten hätte, hängt in der Luft: Was gab’s denn, was sein Rückgrat härter gemacht hätte? Auch er hatte nur leichte Gefängnisse gekannt und keine halbwegs ernsthaften Verhöre und sonst nur zwei Jahre Verbannung in Ust-Kut. Seinen Ruf als furchtloser Kriegskommissar, den Feinden ein Schrecken, hat er sich billig erworben, wirkliche Festigkeit beweist solches nicht: Wer viele erschießen ließ – ach, und wie der winseln kann, wenn’s ans eigene Sterben geht! Die eine Festigkeit hat mit der anderen nichts zu tun.)
Unser Staunen aber rührt letztlich nur daher, daß wir an die Ungewöhnlichkeit dieser Menschen glauben. Sehen wir’s denn als rätselhaft an, wenn in gewöhnlichen Protokollen gewöhnliche Bürger sich selbst und der Welt die unglaublichsten Verbrechen aufhalsen? Wir nehmen es als verständlich hin: Schwach ist der Mensch und unschwer zu brechen. Hingegen sind Bucharin, Sinowjew, Kamenew, Pjatakow, I. N. Smirnow in unseren Augen von vornherein Übermenschen – nur daher kommt, im Grunde, unsere Verblüffung.
Gewiß fällt es den Regisseuren diesmal scheinbar schwerer, die passenden Akteure zu finden; anders als bei den früheren Ingenieursprozessen, wo sie aus vierzig Fässern schöpfen konnten, war diese Truppe klein, ein Starensemble. Mit Ersatzleuten hätte sich das Publikum hier nicht abspeisen lassen.
Doch ganz ohne Auslese ging’s trotz allem auch wieder nicht! Wer beizeiten weitblickender und entschlossener war als die anderen Gezeichneten – ließ sich erst gar nicht schnappen, brachte sich vor der Verhaftung um (Skrypnik, Tomski, Gamarnik). Verhaften ließ sich, wer leben wollte. Und aus einem, der leben will, kann man Teig kneten! … Doch es gab auch darunter welche, die sich bei den Verhören irgendwie anders verhielten, zur Besinnung kamen, nicht mehr mitmachen wollten und lautlos zugrunde gingen – aber immerhin ohne Schmach. Sie werden schon ihre Gründe gehabt haben, Männer wie Rudsutak, Postyschew, Jenukidse, Tschubar, Kossior, ja, selbst Krylenko nicht öffentlich vors Tribunal zu stellen, obwohl von diesen Namen jeder einen guten Aufputz abgegeben hätte.
Die Nachgiebigsten, die setzten sie auf die Anklagebank. Eine Auslese gab es trotz allem!
Die bescheidene Auswahl wurde indes durch den
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