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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
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verstreut. Er hatte sich angekleidet und nach ihr sehen wollen. Die Schlafzimmertür war zugezogen.
    Er hatte gezögert. War es besser, wenn er sie später anrief? Er hatte sich beeilen müssen, um rechtzeitig zu seinem Termin mit Götz in die U-Haft zu kommen. Und gewusst, dass er zu weit gegangen war.

64
    Die Dunkelheit griff nach ihm. Wo sollte er hin? Ein Hotel kam nicht in Frage, da er seinen Namen würde angeben müssen, sie fragten ja sogar nach dem Ausweis. Einen Zug besteigen? Aber wohin? Nach Süden? Osten? Oder sich erst einmal in ein Café setzen, zur Ruhe kommen, einen klaren Gedanken fassen? Doch wenn er den Mantel ablegte, konnte man sehen, dass er nackt unter dem Jackett war. Vorher noch schnell ein Hemd kaufen? Er hatte noch etwas über hundert Euro in der Tasche. Und im Geschäft würde er den Mantel anbehalten können. Am besten in ein Kaufhaus gehen, direkt in die Umkleidekabine, ein Hemd dort anziehen und damit herauskommen. Das behalt ich gleich an … Aber war es dafür nicht schon viel zu spät? Seine Uhr hatte Ben im Bad liegenlassen.
    Es hatte keinen Sinn. Bevor er anfing, das Geld, das er bei sich trug, für halb durchdachte Ziele auszugeben, musste er erst wieder zu sich kommen. Und zwar am besten dort, wo man ihn in Ruhe ließ. Er würde sich eine Bank im Park suchen, die Nacht dort verbringen. Warm genug dafür war es inzwischen, und er würde endlich den Schlaf bekommen, von dem er wusste, dass er ihn dringend brauchte. Am nächsten Morgen würde er dann wie mit geputztem Verstand, ohne nachzudenken, plötzlich glasklar vor sich sehen, was er zu tun hatte.
    Wie ein überdimensionaler, rauschender Kreisel öffnete sich vor Ben der große Stern. Die Lichter der Autos umwirbelten in nie abreißendem Taumel den goldenen Dorn in ihrer Mitte, die Siegessäule, das zu Tode gerittene Symbol unzähliger Loveparades. Schwarz, grau, wie von einem feinen Regen besprüht, legte sich der Tiergarten um den acht- oder zehnspurigen Kreisel. Es kam Ben so vor, als würde er bereits minutenlang im Dreck an der Kante des verlassenen Bürgersteigs warten, als endlich eine Lücke im Verkehr aufriss. Er hastete über den Asphalt, während von Osten, vom Brandenburger Tor her, neue Bataillone von Autos heranbrausten, das Motorengeräusch rauh wie das Keuchen und Schnaufen hungriger Raubkatzen.
    Er überquerte die Mittelinsel, wartete erneut, rannte weiter, achtete nicht darauf, dass der Mantel aufflog, seine nackte Brust aus dem Jackettkragen hervorsah und vom weißen Licht der Scheinwerfer angestrahlt wurde. Hinter ihm grölten die Motoren auf, dann senkte sich ein barmherziger Filter über das Kreischen der Maschinen. Er hatte den Park erreicht, erste Meter Abstand zum Lärm der Stadt gewonnen.
    Der Weg, den er willkürlich einschlug, zog sich verlassen, in diesiges Licht getaucht, durch den Park. In weiten Abständen beleuchteten niedrige Lampen den feuchten Schotter. An einigen Stellen hatten sich Pfützen gebildet, die vom letzten Regen herrührten und zu tief waren, als dass sie schon ausgetrocknet wären. Rechts von ihm erstreckte sich eine grüne Wiese, umsäumt von Waldstücken, hinter denen Ben die Lichter der Autos vorüberhuschen sehen konnte. Links von ihm grenzte ein Stück Unterholz an den Weg, das ihn jedoch nicht daran hinderte, bis auf die andere Seite, auf die nächste Wiese, hindurchzublicken.
    Er setzte seinen Weg fort, ließ die ersten Pfade, die ihn kreuzten, beidseits liegen, bis er endlich an ein größeres Gehölz kam, das er von früheren Touren durch den Park kannte. Hier verließ er den geschotterten Weg und spürte, wie sich das weiche Laub an die Sohlen seiner Schuhe schmiegte. Es raschelte, hin und wieder knackte ein Zweig. Das Brausen und Brüllen des Verkehrs war zu einem entfernten Brummen herabgesunken, nur ab und zu dröhnte ein Sattelschlepper die Transversale zum Reichstag hinunter und übertönte das gleichmäßige Rauschen.
    Ben blieb stehen. Über ihm reckten sich schlanke Bäume zehn Meter in die Höhe, dahinter glimmerte ein gelblich grauer Himmel, dessen Wolken diffus von den Lichtern der Stadt erhellt wurden. Er atmete aus. Der Stress, die Panik, das würgende Gefühl der Aussichtslosigkeit schienen von ihm abzurücken, ihm ein wenig Luft lassen zu wollen. Er knöpfte den Mantel auf, das Jackett und befühlte vorsichtig die Haut auf seinem Bauch. Der Ausschlag hatte sich etwas beruhigt, die Pusteln waren zurückgegangen.
    Er sah sich um. Ein paar Meter vor ihm

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