Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Winner
Vom Netzwerk:
vorsichtig.
    »Ich … die Kinder.« Er spürte, wie ihm Tränen über die Wangen liefen.
    Ich habe die Messinglampe über meinen Kopf gerissen und mit aller Kraft auf den kleinen Körper geschmettert.
    »Ben, was ist los? Du wirkst vollkommen aufgelöst, was ist passiert?«
    Sie verengte die Augen etwas. Die Schwellung in seinem Gesicht war abgeklungen, aber er konnte spüren, wie sich die Veränderung, die er durchlebt hatte, in seine Züge gegraben hatte. Wie die Wangen eingefallen, die Augen größer geworden waren.
    »Ich war es, Sophie, verstehst du, ich …«
    Er kam nicht weiter.
    Sein Kopf fiel herab, auf seine Brust, die Arme hingen herunter, in seinen Ohren rauschte es.
    Er fühlte, wie ihr Körper sich verhärtete. Ihre Hand lag noch immer auf seiner Schulter, aber sie hielt still wie ein Reh, das bemerkt hat, dass es beobachtet wird.
    Ben setzte sich auf einen Sessel vor dem breiten Fenster. Den Blick hielt er gesenkt, er konnte ihr nicht ins Gesicht sehen.
    »Ich habe eines von Svenjas T-Shirts in meiner Wohnung gefunden«, brach es aus ihm hervor. »Erst konnte ich mich nicht erinnern, aber gestern, in der Nacht, nachdem ich das Shirt gefunden habe, habe ich alles plötzlich glasklar vor mir gesehen. Ich kann … Es sind Pias Augen –«
    Sophies Mund öffnete sich wie für einen Schrei, aber es kam kein Laut daraus hervor.
    Ben presste sich in das Kissen des Sessels, am liebsten hätte er sich den Kopf abgerissen. »Ich muss es verdrängt haben … ich … ich –«
    »Ben!«
    Er sah auf.
    »Bist du sicher?«
    Nein!
    »Sieh mich an!«
    Er sah sie an.
    »Bist du sicher?«
    Wieder traten ihm Tränen in die Augen. »Ich kann die beiden Mädchen nicht vergessen. Ich weiß nicht, wie es passieren konnte. Ich habe es überprüft, das T-Shirt, es stimmt überein.«
    Sophie hatte sich auf das Sofa ihm gegenüber gesetzt, die Ellbogen auf die Knie gestützt.
    »Du?« Sie starrte ihn fassungslos an.
    Nein – ich … ich kann es nicht gewesen sein.
    »Wie? Ich dachte, du hast Julian bei dem Prozess zum ersten Mal gesehen!«
    »Ich habe für ein Drehbuch recherchiert, es ging um einen Banküberfall. Ein Freund von mir, Georg Hessling, er lehrt Architektur an der Uni, hat mir Unterlagen zukommen lassen. Es müssen auch Bauten von Julian Götz darunter gewesen sein. Ich hatte es nur vergessen, aber es
muss
so gewesen sein.«
    »Ben!«
    Er sah auf.
    »Ben, was ist los?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Plötzlich stand das Zimmer in Flammen.
    Sie weinte. »Was ist nur los?«
    Er hatte nicht die Kraft, zu ihr zu gehen.
     
    »Es war Lillian, es kann nur Lillian gewesen sein.« Er atmete schwer. Sie lagen auf dem dicken Teppichboden neben dem Tisch, sie hatte die Hosen über die Beine gestreift. Ihre glatten Schenkel umfingen ihn, seine Hände waren unter das Shirt gerutscht, das sie trug. Es war wie ein Rausch, mit dem er die Gedanken fortspülen wollte. Ihr Kopf lag auf dem Teppich, ihre Augen waren auf ihn gerichtet.
    »Sie muss es gewesen sein, sie muss mir den Schlüssel abgenommen und dafür gesorgt haben, dass das T-Shirt in meine Wohnung gebracht wurde.«
    Sein Gesicht sank an ihren Hals. Er schob die Rechte unter ihr Gesäß, drückte es von unten gegen sein Becken, während er mit seinem ganzen Rumpf nach oben stieß und spürte, wie ihr Körper die Bewegung abfing, auffing, wiedergab.
    »Es kann nicht sein, dass ich mich nicht erinnere«, keuchte er in ihr Haar. »Es kann nicht sein …«
    Das Glühen in seinem Bauch, zwischen den Augen, ihre Bewegungen unter ihm, um ihn, die Laute, mit denen sie antwortete, ein Rutschen, ein Abhang, auf dem er nicht mehr würde stehen bleiben können.
    »Nein!« Plötzlich bäumte sich ihr Körper auf, ihre Hand drückte ihn nach oben. Er öffnete die Augen, sah, wie sie sich wegwand, wie das Umfangensein, die Selbstverständlichkeit, die Bewegung, alles in sich zusammenbrach. Es war wie ein Entreißen, etwas Unrichtiges, Verzweifeltes – ihr Gesicht neben seinem, während sich sein Körper in einem Krampf zusammenzog, als würde einem Verhungernden ein Bissen köstlichsten Fleisches, den er bereits gekaut hatte, gewaltsam aus den Zähnen gerissen, so dass er den Saft, den Geschmack des Fleisches noch auf der Zunge verspürte, aber vergeblich schluckte und schluckte.
    »Das kann nicht sein, Ben, es kann nicht sein! Das Shirt war bei dir?«
    Er stürzte. Es war keine Entladung, keine Erlösung, sondern ein Sturz in ein Verlies, aus dem er nicht mehr herauskommen

Weitere Kostenlose Bücher