Der arme Drache (German Edition)
weißem
Kleid zwei zärtlich schimmernde Bruchstücke hervor und
fielen mit fernem Prasseln zu Boden. Ob durch Zufall oder Magie
landeten die Bruchstücke nicht innerhalb des Matsches, sondern
genau auf zwei trockenen Stellen, sodass sie nicht dreckig wurden.
Der
Drache und der Ritter wunderten sich, glaubten sie doch beide im
ersten Moment, einen zerbrochenen Edelstein vor sich zu haben. Aber
dann, als er genauer hinsah, erkannte Oliver in den Fragmenten die
Farbe seiner eigenen Schuppen wieder. Was hatte das zu bedeuten?
Erst
konnte sich Oliver keinen Reim daraus machen, dann aber machte sein
Herz einen Hüpfer, als er an das Schmuckstück dachte, dass
er Marie geschenkt hatte. Er wagte kaum zu hoffen, aus Angst,
enttäuscht zu werden, aber er musste der Wahrheit sofort auf den
Grund gehen.
"Schnell,
komm her!" rief er Gustav zu. Die magische Stille wurde dadurch
zerschmettert, doch das schien so unendlich unbedeutend, wenn Oliver
mit seiner Idee recht haben sollte. "Beeil dich!"
Gustav
bemerkte die Bruchstücke und kam näher.
"Sieh
dir ihren Körper an", befahl der Drache und hielt ihn ihm
hin. Gustav hatte keine Ahnung, aber auch in ihm begann plötzlich
Hoffnung zu keimen. Er trat dicht an Drache und Mädchen heran
und fing damit an, Maries Kleid und Leib zu untersuchen. Er
entledigte sich seines eisernen Handschuhs und seine Finger strichen
über Maries Brustkorb, wo sich noch die silberne Kette befand,
allerdings ohne Schuppe. Oliver beobachtete ihn aufmerksam.
„ Sie
hat gar keine Wunde“, sagte Gustav und traute seinen eigenen
Worten nicht. "Sieh muss dort, wo ich sie erwischte, eine
Halskette getragen haben. Etwas sehr hartes war daran befestigt. Sie
... sie ist unverletzt." Und tatsächlich. Nur ein weißer
Fleck war dort zu sehen, wo das Schwert gegen die Schuppe geprallt
war und sie in die Brust gedrückt hatte. Von der unverletzten
Stelle, die nichts als eine Prellung davontragen würde, blickte
er auf den zerbrochenen Edelstein nieder und erkannte, was er in
Wirklichkeit sein musste, wagte jedoch nicht es auszusprechen.
„ Mein
Schwert muss diesen Edelstein getroffen haben.“
„ Das
ist kein Edelstein“, erklärte Oliver, als sich sein Herz
mit Leichtigkeit zu füllen begann. „Es ist eine meiner
Schuppen, die ich ihr zum Geschenk gemacht hatte. Ich habe sie in
eine Halskette eingearbeitet.“
Gustav
tätschelte vorsichtig die Wange des Mädchens und sprach:
„ Wacht
auf! Wacht auf, Ihr seid nicht tot.“
Marie
regte sich nicht.
„ Wacht
auf!“ sagte Gustav erneut und seine Augen füllten sich
wieder mit Tränen. Olivers Hoffnung bröckelte. „Bitte,
wacht auf!“
Eine
ganze Weile geschah nichts, nur der Wind pfiff leise durch die Äste
der Bäume. Alles schien vorbei.
Nur
die Stille, die ihren Platz zurückzuholen suchte.
Schließlich
zuckten Maries Augenlider und das Mädchen blinzelte. Sie sah
sehr müde aus, doch sie lächelte, als sie Oliver erblickte.
„ Du
lebst“, sagte Oliver und nun musste auch der Drache weinen.
Allerdings vor Freude. Seine Tränen waren heiß, und wo sie
Schnee oder Matsch trafen, zischte es. Er achtete darauf, das Mädchen
nicht mit den großen Tropfen zu treffen.„Meine Marie, du
lebst!“
„ Ich
... ich ... lebe?“ Marie schien verwirrt, doch dann erinnerte
sie sich an die Schuppe, die sie vor Gustavs Klinge beschützt
hatte. Ein gewaltiger blauer Fleck zeichnete sich langsam auf ihrer
Brust ab, doch das war ihr egal. Ihre Arme legten sich um Olivers
Hals und sie flüsterten sich gegenseitig ihre Freude ins Ohr.
„ Es
tut mir leid, es tut mir alles so unendlich leid“, unterbrach
Gustav die beiden. „Nie wieder will ich ein Schwert tragen,
jetzt wo ich weiß, welches Unheil es anrichten kann.“ Der
Ritter erhob sich knarrend und war im Begriff die Klinge weit in den
Wald zu schleudern, doch eine von Olivers Klauen legte sich auf seine
Schulter.
„ Du
liegst falsch, Ritter. Du scheinst dein Schwert bisher benutzt zu
haben, um die Schwachen zu schützen und das war sehr
edel."Gustav blickte fragend. "Wir Drachen können
Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben" beantwortete Oliver
das Unausgesprochene. "Achte in Zukunft nur darauf, dass du dich
nicht von irgend etwas blenden lässt.“
Gustav
lächelte schwach und er konnte das Verzeihen in den Augen des
Drachen nicht ertragen; es schämte ihn, viel mehr noch, als
einen guten Rat annehmen zu müssen, von jemandem, den er für
ein Ungeheuer gehalten hatte.
„ Lebt
wohl“, sagte
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