Der arme Drache (German Edition)
wurde
die Stille kurz unterbrochen und zwar durch das Klirren von Gustavs
Schwert, das aus seinen kraftlosen Händen zu Boden gefallen war.
Eine
Ewigkeit blickten beide auf Maries reglosen Körper, bis Oliver
schließlich flüsterte:
„ Du
hast sie umgebracht.“ Er sagte das immer wieder, bis Gustav die
Tränen in die Augen stiegen.
„ Das
habe ich nicht gewollt“, sagte der Ritter voller Entsetzen und
fiel auf die Knie. Die Riemen seiner Rüstung knarrten dabei.
Erst jetzt wurde ihm klar, dass er einen schweren Fehler gemacht
hatte. Warme Tränen kullerten ihm über die Wangen und
verschwanden im eisernen Kragen seines Harnischs.
Wie
hatte das passieren können? Nicht nur, dass seine Tat
verachtenswert war, sein Ruf wäre unwiederbringlich verloren,
wenn herauskam, dass er Prinzessinnen erschlug, anstatt sie zu
befreien. Aber was machte das schon. Was interessierte ihn sein Ruf,
wenn er nicht mehr in den Spiegel sehen können würde, weil
er sich von seinen eingeschränkten Vorstellungen hatte leiten
lassen? Er war so voreingenommen gewesen, dass die Wahrheit gar keine
Möglichkeit gelassen bekam, einen Platz in seinem Herzen
einzunehmen. Was war er für ein Narr.
Oliver
konnte seine Fassung nicht wiedergewinnen.
Er
war zu traurig, um zu weinen.
8.
Erkenntnis
„ War
dir das Beweis genug für unsere Freundschaft?“ fragte
Oliver den Ritter, während er Maries schlaffen Körper in
seine Klauen nahm und sie sanft wiegte wie einen Säugling. In
seiner Stimme schwangen Wut und Verachtung mit. Gefühle, mit
denen er bisher nur wenig Erfahrung hatte.
„ Ich
dachte, du hättest sie verzaubert. Doch ich bin derjenige
gewesen, der verhext war. Verblendet von alten Vorstellungen. Warum
traf ich ausgerechnet jetzt auf ein Monster, das den Menschen kein
Übel wollte?“ fragte Gustav, noch immer weinend.
Oliver
sah ihn über Maries schlaffen Leib hinweg klagend an.
"Ich
meine ... Wesen. Warum traf ich gerade jetzt auf ein solches Wesen ?"
Gustav ballte seine Fäuste in einer Geste der Hilflosigkeit.
„Meine Sehnsucht nach einer Frau hat mich so weit getrieben.
Ich habe das alles nicht gewollt.“
Obwohl
der Drache nicht verstand, was Gustav meinte, fühlte er die
ehrliche Reue des Ritters. Dennoch sehnte sich alles in ihm danach,
Gustav genauso wehzutun, wie dieser ihn verletzt hatte.
„ Dafür
ist es jetzt zu spät. Dass du bereust, erweckt sie nicht mehr
zum Leben“, sagte er deshalb, um Salz in die offene Wunde zu
streuen. Oliver klang so unendlich traurig, dass es Gustav beinahe
das Herz zerriss. Hätte er noch einen Beweis gebraucht, dass der
Drache und das Mädchen die Wahrheit gesagt hatten … hier
war er. „Meine einzige Freundin, meine einzige Liebe ist tot.
Sie wurde mir von dir genommen, für nichts und wieder nichts.
Als
wären mit der Grabesstimmung auch die Temperaturen gefallen,
setzte ein leichter eisiger Wind ein, der erst einzelne Schneeflocken
brachte, und dann ein kleines Gestöber. Ungehört schwebten
sie unter einem Himmel aus schweren grauen Wolken zu Boden, wie Feen,
die eines langen Lebens müde waren.
"Du
bist hier nicht willkommen", sprach Oliver, ohne seinen Peiniger
dabei anzusehen. "Es wäre das Beste, wenn du jetzt gehst."
Es
gab nichts mehr, was Gustav hätte sagen können. Daher
senkte auch er den Kopf, erhob sich auf die Füße und
wandte sich seinem Abgang zu. Als sein Blick das Schwert auf dem
Boden traf, wirbelten tausend verschiedene Gedanken in seinem Hirn.
Der quälendste war:
Konnte
er je wieder eine Waffe in die Hände nehmen, selbst wenn es
darum ging die Schwachen zu beschützen? Er wusste es nicht. Er
war sich nicht darüber im Klaren, ob er überhaupt noch ein
Ritter sein konnte, denn sein Schwert war mit dem Blut einer
Unschuldigen besudelt.
Seltsam,
dennoch sah die Klinge so rein und makellos aus, wie sie dort im
Schlamm lag. Nur einige Spritzer Morast waren darauf zu sehen.
"Es
klebt gar kein Blut daran", murmelte Gustav zu sich selbst, als
er sich doch dazu aufraffte, das Schwert aufzuheben.
Oliver
beachtete ihn nicht mehr. Seine Trauer vernebelte ihm die Sinne. Er
hielt den Leib seiner Freundin noch immer sanft, und wandte sich zum
Gehen. In der Stille, die so umfassend war, dass sie einem bösen
Zauber zu entspringen schien, hörte er plötzlich ein zartes
Klimpern. Die Harfe eines geheimnisvollen Wesens, das das Eis
hervorbrachte, mochte so klingen, kaum hörbar, aber trotzdem
jede Aufmerksamkeit fesselnd. Da rutschten unter Maries
Weitere Kostenlose Bücher