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Der arme Drache (German Edition)

Der arme Drache (German Edition)

Titel: Der arme Drache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Heiser
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legte sich wie in einer Umarmung um ihre Schultern. „Ich
weiß, was zu tun ist. Lass mich nur machen.“
    So
warteten Oliver und Marie also auf das Morgengrauen und auf die
Rückkehr des Ritters und sie erzählten sich Geschichten, um
sich Mut zu machen, was nur zum Teil klappte. Irgendwann schliefen
sie ein.

    Kurz
nachdem das erste Sonnenlicht auf den feuchten Waldboden gefallen
war, hörte man das Scheppern von Gustavs schwerer Rüstung.
Mit dem Schwert in der Hand blieb der Ritter ein weiteres Mal vor
Olivers Höhle stehen.
    „ Komm
heraus, Schurke!“ schrie er aus Leibeskräften, dass es in
der Höhle nur so rumpelte. „Deine Zeit ist abgelaufen.“
    Olivers
schimmernder Körper wand sich träge aus der Höhle und
Marie war dicht an seiner Seite. Ihre Arme lagen auf seinem Hals und
sie zitterte.
    „ Also,
hast du einen Beweis für deine Geschichte, oder nicht?“
fragte Gustav ungeduldig. Seine Augen funkelten kampfeslustig, denn
wie schon gesagt, waren die meisten seiner Begegnungen mit
Fabelungeheuern nicht gerade zimperlich abgelaufen, und er schwang
lieber sein Schwert gegen sie, als sich von ihren Worten verhexen zu
lassen.
    Jetzt
war er kaum noch zwei Schritte von den Freunden entfernt.
    „ Den
habe ich“, entgegnete Oliver grinsend und hielt dem Ritter die
Locke von Maries Haar vors Gesicht, die das Mädchen ihm
geschenkt hatte. „Ist das genug?“
    Gustav
betrachtete die Locke und schien entsetzt.
    „ Die
hast du ihr gestohlen!“ brüllte er und schlug Oliver die
Haarlocke aus der Klaue, so dass sie zu Boden fiel und im
Schneematsch landete. Oliver wusste nicht, was er sagen sollte und
blickte die schmutzige Locke traurig an.
    „ Zeit
zu sterben, Untier!“
    Oliver
war dermaßen schockiert, dass er einen Hustenanfall bekam. Er
hatte sich so viel von seinem Plan erhofft.
    Gustav,
der glaubte, dass sein Gegner Feuer in seine Richtung speien wollte,
schwang sein Schwert über dem Kopf und lenkte den kalten Stahl
plötzlich gegen den Drachen. Dieser wich aus wie eine Schlange
und konnte seine Schuppen gerade noch in Sicherheit bringen. Genauso
verlief es ein zweites und drittes mal. Der Drache hüpfte
verzweifelt durch den Matsch, immer auf der Hut vor der singenden
Klinge. Seine Krallen wühlten den Boden auf. Spritzer von kaltem
Schlamm wurden überall hin geschleudert, sogar auf Maries Kleid.
Im Kleinen konnte man hier beobachten, wie der Krieg, der wie so oft
aus Unverständnis geboren war, solange er andauerte, alles
Schöne befleckte. Den weißen Leinenstoff, das grüne
Schuppenkleid, sogar Gustavs prunkvollen Harnisch. Noch hatte es
keine Verletzten gegeben, der Schlamm würde von allem leicht
abzuwaschen sein. Doch Oliver ahnte, dass sein wütender
Angreifer ihn früher oder später treffen würde. Sein
Blut würde sich auf die Umgebung verteilen, würde sich mit
dem Matsch vermengen, der dann nicht mehr so einfach zu entfernen
sein würde. Die Vorstellung, dass dieses scharfe Stück von
Schwert ihm tatsächlich eine Wunde beibringen, ihm Schmerzen
zufügen oder sogar das Leben nehmen mochte, ließ ihn
plötzlich vor Angst erstarren. Der Drache, der trotz seiner
geringen Größe immer noch viel mächtiger erschien als
der Mensch, blickte wie gelähmt auf die Waffe und hatte soviel
Angst, dass er nicht in der Lage war sich zu rühren. Schwungvoll
sauste da das Schwert einmal mehr herab, diesmal würde es ihn
ohne Schwierigkeiten erwischen.
    „ NEIN!“
schrie das Mädchen Marie, denn sie sah ihren Freund in
Lebensgefahr. Sie nahm all ihren Mut zusammen und sprang schnell wie
der Blitz zwischen das tödliche Schwert und ihren Freund Oliver.
Es war eine Handlung größter Dummheit und größter
Courage gleichzeitig. Wie hätte sie erwartet, dass sie die
Schneide aus Stahl aufhalten konnte? Mit ihren bloßen Händen?
Mit ihrem Leib?
    Gustav
konnte die Klinge nicht mehr herum reißen und so traf sie
anstelle des Drachens das junge Mädchen, das so tapfer ihr Leben
aufs Spiel gesetzt hatte, um ihren Freund zu beschützen. Ihr
schmaler Körper sackte leblos zu Boden und ihre goldenen Haare
landeten neben der abgeschnittenen Locke im Dreck. Irgendwie war der
Anblick des schmutzigen, goldenen Haares auf dem Boden erschreckender
als der erschlaffte Körper des Mädchens.
    Gustav
wurde bleich wie ein Gespenst. Und Oliver wäre es geworden, wäre
er ein Mensch gewesen.
    Für
einen Augenblick herrschte Stille im Wald und weder Oliver noch
Gustav konnten begreifen, was soeben geschehen war. Nur einmal

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