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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Böhler, daß es seinem Kameraden gut geht. Und ich will versuchen, ihn im Frühjahr in meinen Bautrupp zu bekommen. Ich will es versuchen … Guten Tag, Genosse Major.«
    Worotilow sah aus dem Fenster, als Kislew in seinen Wagen stieg und abfuhr. Sauerbrunn kehrte den Platz vor der Kommandantur.
    »Dreckige Wanze«, sagte Worotilow in Richtung des abfahrenden Wagens. Er sagte es auf deutsch, und Hans Sauerbrunn hörte es.
    Am Abend machte es im Lager die Runde von Mund zu Mund, von Baracke zu Baracke, von Block zu Block.
    »Dreckige Wanze …«
    Sergej Kislew wurde von diesem Tage an nie mehr anders genannt.

A US DEM T AGEBUCH DES D R . S CHULTHEISS :
    Nach langer Zeit kann ich wieder in meinem Tagebuch schreiben. Es war in den letzten Wochen, vor allem seit Weihnachten, so viel auf uns eingestürmt, daß ich keine Zeit und keine Muße fand, die Gedanken in Worte zu kleiden. Die Liebe Janinas erfüllt mich ganz … wir leben hier wie auf einer Insel … wir vergessen, wo und was wir sind … wir gehen wie durch einen Traum, der uns Glückliche in eine schreckliche Gegend versetzte, aber unsere Liebe nicht zerstören kann. Das Lager, die gefangenen Kameraden, das schlechte Essen, die Sehnsucht nach der Heimat … sie sind alle da, diese zermürbenden Tatsachen, aber doch liegen sie wie hinter einem Schleier.
    Vor zwei Tagen bekamen wir wieder Post … nicht nur die ›Parteianwärter‹, sondern alle.
    Auch ich … von Mutter.
    Ihre zittrige Schrift bedeckt eng die Karte. Sie hat vor Aufregung sogar über den Rand geschrieben und auf der Rückseite in die Adresse … es ist ein Wunder, daß man die Karte so durch die Zensur gelassen hat.
    »Mein liebster Junge!
    Nun wird es bald Weihnachten sein, und mehr als sonst denke ich an Dich. Uns geht es allen gut. Franz ist schon vor drei Jahren aus englischer Gefangenschaft gekommen und ist jetzt Rechtsanwalt in einem großen Werk. Melittas Söhnchen ist jetzt zwei Jahre alt und viel bei mir. Ich erzähle ihm oft von seinem Onkel Jens, der dort so weit, weit weg in Rußland ist. Wir alle hoffen, daß Du bald wiederkommst. Prof. Höffkens war einmal hier und fragte nach Dir. Er will Dich sofort in seiner Klinik anstellen, wenn Du kommst. Alle lassen Dich grüßen. Unsere ganze Liebe ist jetzt bei Dir, mein lieber Jens, mein Kleiner. Bleib gesund und komm wieder. Ich will Dich noch einmal sehen. Ich küsse Dich
    Deine Mutti.«
    Am Abend kam Janina zu mir ins Zimmer … ich las ihr die Karte vor. »Einmal werde ich sie kennenlernen«, sagte sie. »Wenn du entlassen wirst, komme ich mit …« Sie legte den Kopf auf meine Schulter und strich mit den Fingern über die Schrift. »Wie sieht sie aus, deine Mutter, Jens? Wie du – blond, groß …?«
    Und ich habe ihr von Mutter erzählt … eine ganze Nacht hindurch. Von dem ersten Tag an, an den ich mich erinnern kann … Ich spielte damals im Sandkasten, und Mutter saß auf der Einfassung und baute mit mir eine Burg. Sie hatte einen Eimer Wasser neben sich stehen und machte den Sand naß, damit er sich besser formen ließ. Franz, der Rechtsanwalt, war auf der Wiese hinter dem Haus und schoß mit Pfeilen auf eine große, strohgepolsterte Schießscheibe. Melitta war in der Schule … sie übte immer das kleine ›b‹ und bekam nie die Rundung heraus. Immer wurden sie eckig … Damals im Sand begann meine Erinnerung an Mutter; sie baute mir einen Tunnel, durch den ich meine Sandkarre fahren lassen konnte, eine Burg mit richtigen Zinnen, einem Wassergraben und mehreren Höfen. Dann kam Franz und schoß mir mit Pfeilen die Burg zusammen. Da habe ich geweint, und Mutter hat gescholten und gesagt, sie werde es am Abend dem Vater sagen, wenn er aus der Klinik kommt … Von da ab habe ich viele Erinnerungen an Mutter … nur schöne, bis auf die eine, wo sie krank war und der Arzt jeden Tag zweimal kam. Eine böse Bronchitis hatte sich festgesetzt und wollte zu Herzasthma ausarten. Man kannte damals noch keine Antibiotika, auch in der Forschung der Sulfonamide war man noch nicht soweit wie heute … nur langsam erholte sich Mutter, und Vater gab an dem Tag, an dem sie wieder ganz bei Kräften war und jung und schön aussah wie vorher – für uns Kinder wurde Mutter nie alt –, einen kleinen Hausball. Der Landgerichtspräsident war da und küßte Mutter die Hand. »Gnädige Frau«, sagte er … das fand ich so komisch, daß ich laut kicherte hinter meiner Gardine, hinter der ich mich versteckt hatte, um alles mitzuerleben. Vater gab

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