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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mir eine Ohrfeige … ich weiß es noch so genau, vor allen Gästen gab er mir eine … und schickte mich ins Bett. Später kam dann Mutter herauf und tröstete mich. »Wenn du größer bist«, sagte sie, »kannst du dableiben. Jetzt aber gehören kleine Jungen noch ins Bett.« Mutter glich immer aus, sie war immer mit einem guten Wort bei uns, sie verzieh uns immer …
    Die ganze Nacht habe ich Janina von Mutter erzählt. Geduldig hörte sie mir zu und sagte, als ich schwieg: »Du mußt eine wunderbare Mutter haben …«
    Jetzt, zwei Tage nach dem Postempfang, ist es wieder wie immer im Lager. Am ersten Tag war die Stimmung gedämpft, jeder war mit seinen Gedanken in der Heimat und verkroch sich in sein Inneres. Viele mochten wohl auch an Julius Kerner denken, den eine Nachricht aus der Heimat in den Tod trieb, diesen Kerner, den ein Leutnant Markow nicht klein bekam, der eine Stütze war mit seinem frechen Mund … und den ein paar Zeilen aus Deutschland so erschütterten, daß er sich nackt in den Schnee legte, um zu erfrieren …
    Auch für Dr. von Sellnow war eine Karte dabei. Worotilow behielt sie in der Kommandantur und wußte nicht, was er mit ihr anfangen sollte. Daß die Karte ins Lager kam, bewies, daß man in Moskau nichts von einer Verlegung Sellnows in das Straflager wußte. Das war eine völlig neue Sicht der Dinge, das konnte sehr viel ändern, denn damit stand fest, daß es eine regionale Angelegenheit blieb, die man vielleicht irgendwie zum Guten wenden konnte. Wenn die Verantwortung bei der Division in Stalingrad lag, wenn der örtliche MWD die Verschickung veranlaßte, dann war die Hoffnung groß, Sellnow wiederzusehen … wenn er noch lebte.
    Auch Worotilow schien das zu denken. Er schickte die Karte nicht zur Zentrale zurück, sondern behielt sie im Lager. Er steckte sie in seine Uniformtasche und unterrichtete Dr. Kresin. Von Dr. Kresin weiß ich es … wir alle wurden angehalten, der Kasalinsskaja nichts von der Post zu sagen. Wir wissen, daß sie sich wieder das Leben zu nehmen trachtet, wenn sie erfährt, daß Sellnow in Deutschland eine Frau und zwei Kinder hat … eine Frau, die mit aller Kraft ihres liebenden Herzens auf ihn wartet … Die Kasalinsskaja würde es nicht ertragen – sie würde sich und Sellnow der Leidenschaft opfern. Wir alle wissen es. Darum müssen wir schweigen …
    Eine Woche später kam Sergej Kislew wieder ins Lager. Seinem Sohn ging es verhältnismäßig gut. Die Operation hatte keinerlei Nachwirkungen. Er konnte zwar vorläufig nur flüssige Nahrung zu sich nehmen, aber auch das würde sich bald umstellen lassen. Professor Pawlowitsch sei begeistert und habe im Kolleg an Hand von Zeichnungen die Operation noch einmal demonstriert. Kislew lächelte Worotilow an. »Ich glaube, er will die Operation in der Zeitschrift ›Der Sowjet-Arzt‹ veröffentlichen – als seine eigene..«
    »Und die Schüler, die dabeisaßen und sahen, daß Dr. Böhler sie ausführte?«
    Kislew winkte ab. »Sie sind von der guten Laune des Chefs abhängig – bei der Prüfung vor allem! Und durchzufallen kann sich keiner unserer Staatsschüler leisten. Es wäre Sabotage!«
    »Das alte Lied«, Worotilow seufzte. »Was führt Sie eigentlich her, Genosse Kislew?«
    »Der deutsche Arzt im Lager 53/4.«
    »Sellnow?« Worotilow sprang auf. »Sie haben Nachricht von ihm?«
    »Ja. Leider keine gute. Er liegt im Sterben …«
    »Nein!« Worotilow war ehrlich entsetzt. Er riß die Tür auf und brüllte einem Posten zu, sofort Dr. Böhler zu holen, sofort! Der Rotarmist rannte davon. »Wie ist das denn möglich? Ein Rückfall der Lungenentzündung?«
    »Nein. Man hat ihn vergiftet.«
    »Vergiftet?« Er starrte Kislew zweifelnd an. »Man hat ihn vergiftet?«
    »Ja. Keiner weiß, mit was. Er selbst ist nicht bei Besinnung. Sein Obermann, ein Deutscher, der Buffschk heißt, pflegt ihn und weicht nicht von seinem Lager. Der Leutnant und Lagerkommandant weigert sich, einen Arzt holen zu lassen. ›Soll verrecken!‹ hat er gesagt. Zwei SS-Ärzte, die auch im Lager sind, helfen ihm. Sie haben ihm den Magen ausgepumpt …«
    »Solch eine Schweinerei!« Worotilow hieb mit der Faust auf den Tisch. »Ich fahre sofort nach Stalingrad! Man will keinen Arzt holen?! Ich schieße den Leutnant nieder!«
    Dr. Böhler kam herein, erhitzt und atemlos. Er blickte auf Kislew und dachte, der Sohn sei gestorben. Aber dann bemerkte er den tobenden Worotilow und zog die Tür hinter sich zu.
    »Sellnow ist vergiftet worden!«

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