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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich lange mit dem Armenier und erfuhr auf diese Weise, daß man Entlassungen plante und das Lager 5110/47 Gefangene nach Hause schickte. Daß er unter den wenigen Auserwählten war, hielt er für ausgeschlossen. Er dachte an das ausgetretene Auge des Kommissars Kuwakino, und seine völlige Rechtlosigkeit in diesem Staate kam ihm wieder voll zum Bewußtsein. Trotzdem wagte er es eines Tages, den Armenier zu bitten, ein Schreiben aus der Klinik herauszuschmuggeln und es an die Adresse der Kapitän-Ärztin Dr. Alexandra Kasalinsskaja zu schicken. Der Armenier versprach es, und Sellnow schrieb ein paar Zeilen.
    Der Brief kam drei Tage später im Lager 5110/47 an. Ein deutscher Lastwagenfahrer, der Holz ablud, brachte ihn mit. Alexandra Kasalinsskaja lachte und weinte, sie tanzte mit dem Brief durch das Zimmer und fiel Worotilow und Dr. Kresin um den Hals.
    »Er lebt! Er lebt! Er ist in Stalingrad! Mein wilder Wolf lebt...!« Sie warf Worotilow das Schreiben hin und begann, hysterisch zu weinen. Dr. Kresin beugte sich über des Majors Schulter und las die Zeilen mit. Dann griff er nach seinem Mantel und stülpte die Pelzmütze auf.
    »Ich fahre sofort nach Stalingrad! Ich muß ihn sprechen! Und wenn ich die Kröte von Pawlowitsch an der Wand plattquetsche! Kommen Sie mit, Genosse Major?!«
    »Aber selbstverständlich.«
    Die Kasalinsskaja hob beide Hände. »Nehmt mich auch mit! Bitte! Ich weiß, er denkt an mich und braucht mich.«
    »Du kannst morgen fahren, Alexandra.« Dr. Kresin riß die Tür auf. »Einer muß ja im Lager sein! Wir werden ihn von dir grüßen!«
    Er rannte die Treppen hinunter und schrie nach dem Jeep. Worotilow zog sich seinen dicken Lamm-Mantel an. Alexandra klammerte sich an seinen Arm.
    »Sag ihm, daß ich ihn liebe«, flüsterte sie. »Daß ich auf ihn warte, daß mein Leben nur einen Sinn hat, wenn er da ist!«
    »Ich werde es ihm sagen, Alexandraschka.« Worotilow dachte an die vier Karten und die Pakete, die in seinem Schrank lagen und die Sellnows Frau schickte, die Jahr um Jahr auf seine Heimkehr hoffte. Er dachte an die Transportnummer, die Sellnow bereits besaß und an die Tatsache, daß er im Frühjahr die lange Reise in die Heimat antreten mußte. Eine Reise, die Moskau befahl und die niemand verhindern konnte – nicht er, nicht Dr. Kresin, nicht der General in Stalingrad, und erst recht nicht Alexandra. Nur der Tod war stärker als der Befehl aus Moskau. Und den Tod hatten Dr. Böhler und Professor Pawlowitsch besiegt.
    »Ich werde ihm sagen, daß du morgen kommst«, meinte Worotilow.
    »Das wird ihn glücklich machen, Iwanow.«
    »Ich glaube es.« Worotilow lief schnell Dr. Kresin nach und stieg in den Wagen. Er klemmte sich hinter das Steuerrad und winkte zur Kasalinsskaja zurück. »Sie glaubt, daß er in Rußland bleibt«, sagte er leise zu Dr. Kresin. »Wenn sie erfährt, daß wir ihn holen, weil er entlassen wird …«
    »Nicht auszudenken«, murmelte Kresin mit geschlossenen Lippen. »Sie bringt uns alle mit Zyankali um …«
    Der Jeep fuhr an und raste in einer Schneewolke der Wolga zu, fuhr in die Schneise ein und verschwand an der Biegung, die durch die Wälder führte.
    In Stalingrad ging alles sehr schnell. Worotilow nahm keine Rücksicht mehr auf Namen und Stellung des alten Asiaten. Er schrie ihn an, ehe der Greis sich noch zu wehren vermochte, und während er schrie, rannte Dr. Kresin durch die Gänge der Privatstation, schob zwei Assistenzärzte zur Seite, die es nicht wagten, dem rasenden Bullen entgegenzutreten, und riß die Türen der Reihe nach auf.
    In Zimmer 24, einem großen sonnigen Zimmer mit einem Balkon zum Garten hinaus, saß Dr. von Sellnow am Fenster und las. Erstaunt blickte er sich um, als die Tür stürmisch aufgerissen wurde.
    Dr. Kresin hob beide Arme weit nach vorn. »Werner!« brüllte er vor Glück und Freude. »Mein Junge! Wir sind da!«
    Sie stürzten aufeinander zu, sie fielen sich in die Arme, sie küßten sich … der Deutsche und der Russe … sie hielten sich umschlungen wie Ertrinkende und klopften sich auf die Schulter.
    »Kresin«, stammelte Sellnow ergriffen. »Sie sind gekommen! Sie sind hier! Ich habe nie geglaubt, Sie noch einmal zu sehen!«
    »Worotilow ist auch hier!« schrie Dr. Kresin. Er gebärdete sich wie toll, er drückte Sellnow in den Sessel und sprang herum wie ein tobender Büffel. »Er schreit den Alten zusammen … da kommt er schon … ich höre ihn …« Er rannte zur Tür und brüllte durch den stillen Gang: »Hier

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