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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Entlassung. Zwar waren die damals Verurteilten aus der abgesonderten Strafbaracke nach unbekannten Zielen verlegt worden, aber die Mehrzahl der Plennis blieb zurück und hielt sich aufrecht durch den Glauben an die Zukunft.
    Im Schrank bei Major Worotilow lagen drei Pakete und vier Karten für Dr. von Sellnow. Manchmal stand er davor und schüttelte den Kopf. »Was soll ich mit ihnen tun?« fragte er Dr. Kresin. »Wenn ich nur wüßte, wo er ist! Soll ich sie dem Lazarett geben zur Verteilung?«
    »Warten wir noch ein bißchen.« Der russische Arzt kratzte sich das Kinn. »Vielleicht kommt er wieder. Wenn er tot wäre, hätte man uns benachrichtigt … es wäre bei den Transportlisten bestimmt herausgekommen. Aber man sagte nichts … also lebt er noch! Es besteht eine Hoffnung, ihn wiederzusehen! Es ist auch die Hoffnung der Kasalinsskaja! Mein Gott, wenn sie wüßte, daß wir ihn nach Hause schicken und daß er verheiratet ist! Lassen Sie die Pakete und Karten bloß liegen, Genosse Major …«
    Mit dem Ausgeben der Pakete begann auch wieder der rege Tausch mit den Wachmannschaften. Tabak und Büchsen wechselten ihre Besitzer gegen Dinge, die man in den Handwerkerstuben brauchte. Zangen und Hämmer, Meißel und Hobel wurden eingetauscht – plötzlich gab es sogar Stoffe in der Lagerschneiderei, Papier und Leinen bei den Buchbindern, die für die Lagerbibliothek arbeiteten und die handgeschriebenen Bücher, die man auf zerschnittenen Zementsäcken schrieb, einbanden. Leim wurde besorgt, Farben, Pinsel … die Maler strichen die Baracken von innen an … im Lazarett gab es einen Tagesraum mit Wandgemälden, die der Bühnenbildner der Theatergruppe malte. Neue Noten für das Lagerorchester wurden besorgt … man probte jetzt sogar klassische Musik … Tschaikowsky, Borodin, Beethoven, Schubert. Es war, als flute eine Welle des Lebens durch die verschneiten Baracken, als erhebe sich das dumpfe Lager zu neuer Frische und sprenge die Enge der jahrelangen Verdammnis.
    Je mehr sich der Winter seinem Ende zuneigte und der Frühling zu ahnen war, um so mehr hob sich die Stimmung im Lager.
    Das Orchester veranstaltete einen Operettenabend. Der Lagerchor sang berühmte Jägerchöre. Die Lagerbühne spielte ein Lustspiel – es war von einem Oberlehrer geschrieben und wurde Major Worotilow zur Zensur vorgelegt.
    »Es ist ein Stück von Schiller«, sagte der Regisseur.
    »Von Schiller? Das ist sehr gut! Genehmigt«, sagte Worotilow. Schiller war unantastbar, Schiller kannte jeder Russe. Was von Schiller war, unterlag keiner Kritik. Es wird behauptet, daß Schiller, wenn er alle die Stücke geschrieben haben sollte, die man in Gefangenenlagern unter seinem Namen aufführte, fünfhundert Jahre gelebt haben müßte, um sein Pensum zu bewältigen.
    Als die ersten Sonnenstrahlen leuchteten, fuhr Dr. Kresin zum Grab Janinas hinaus und legte die ersten Blumen nieder, die er in Stalingrad kaufen konnte. Es waren dicke rote Blüten aus der Krim. Sie glänzten im Schnee wie große Blutstropfen.
    In der Klinik in Stalingrad ging Sellnow jetzt allein, nur mit Hilfe eines Stockes, im Garten spazieren. Er sonnte sich in den ersten warmen Strahlen, er aß die beste Kost, die es im Krankenhaus gab, er konnte sich innerhalb der Klinik frei bewegen und zeigte sogar wieder medizinisches Interesse, indem er einmal bei einer Operation im OP auftauchte und assistieren half.
    Pawlowitsch war stolz auf ihn. Er stellte den deutschen Arzt seinen Studenten vor, er zeigte Röntgenplatten und erläuterte die Operation als sein Werk wie die darauffolgende pflegerische Leistung – nur an den Patienten selbst wagte er sich nicht heran. Er ließ die einfachen Zwirnsfäden im Kopf und riskierte nicht, sie durch echte Seide und Catgut zu ersetzen. Er wagte auch keine Plastik der Schädeldecke und bemerkte mit Mißfallen, wie die eine Schädeldecke etwas einsank und eine Vertiefung bildete. Da dies jedoch keinerlei Wirkung auf die Körper- und Geistesfunktion zeigte, übersah er die Einbuchtung geflissentlich.
    Sellnow tastete wohl des öfteren selbst seinen Kopf ab, aber er schwieg und beobachtete sich weiterhin genau. Er wußte, daß eine Plastik notwendig war und sich die Wirkungen erst nach Jahren einstellen konnten, aber er hatte mit seinem Zustand abgeschlossen und bemühte sich, seiner Person keine Wichtigkeit mehr beizumessen.
    Er hielt die Augen offen und beobachtete das Leben in der Klinik.
    Er sprach mit der Schwester und dem Oberarzt, er unterhielt

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