Der Arzt von Stalingrad
lassen … Drogen, die das Herz stärkten, Streptomycin, das die Entzündungen wegfraß, Hormonpräparate, die den Organismus strafften. Er hatte gesiegt, hatte den Tod in einem zähen Kampf bezwungen … er hatte seine Niederlage bei dem jungen Kislew ausgelöscht. Er war in der Lage, der russischen medizinischen Welt einen Mann vorzuführen, der eine Krankheit überstanden hatte, die als unheilbar galt und der durch seine Operation wieder ein gesunder, vollwertiger Mensch geworden war.
Dieser Ehrgeiz war es, der Dr. von Sellnow das Leben rettete und ihm alle Sympathien des Tataren einbrachte. Persönlich kümmerte er sich um die Fortschritte des deutschen Arztes und führte gewissenhaft wie nie die Krankengeschichte des ›Gehirntumors‹, wie er Sellnow bei seinen Ärzten stolz nannte.
Was weder Pawlowitsch noch Sellnow wußten, war die Entlassungsnummer, die Sellnow vor zwei Monaten bekommen hatte. Eine Nummer, die nun in Moskau beim Zentralkomitee durch die Mühle der schwerfälligen sowjetrussischen Bürokratie lief und einen roten Haken an allerhöchster Stelle erhielt.
Damit war Sellnow endgültig entlassen – noch nicht körperlich, aber listenmäßig. Es bedurfte nur des Befehls aus dem Kreml, und die Transporte rollten gen Westen, die großen Blätter der deutschen Sowjetzone rührten die Trommel der Propaganda, und in Frankfurt an der Oder wurden die Baracken geschrubbt und rote Fahnen zum Empfang bereitgelegt.
Wenn nur der Frühling bald kommt! Wenn nur die Sonne durch das Grau der Wolken bricht und der Schnee schmilzt. Der Dreck, der Schlamm, der berühmte General Schlamm, gehen vorbei – und dann kommen die Wagen und holen uns ab … drei … vier … fünf Lastwagen … Sie fahren uns weg in die Freiheit … mich und dich … und dich … Drum iß den Kapusta, das glitschige Brot, die Hirsegrütze, die zwanzig Gramm Butter und das Bröckchen Fleisch, das du in der Woche einmal in der Wassersuppe findest. Und die gefrorenen Kartoffeln iß auch, Kamerad … sie machen stark und dick … du kommst mit einem Kartoffelbauch nach Hause, und Mutter staunt: Mensch, biste dick jeworden! Emil … det is ja nich möglich! Vielleicht ist es auch Wasser, was dich so aufschwemmt, und du kommst in eine deutsche Klinik, wo man dich aufpäppelt … alles geht vorbei, Emil … denn du bist ja zu Hause und Mutter wartet und bringt dir immer leckere Sachen … Dann wirste wieder stark und vergißt die verdammten Jahre, die du in der Steppe verloren hast! Und die Nächte, Mensch, Emil, die Nächte! Eine Frau im Bett!
Mitte März kamen wieder Pakete im Lager an.
782 Pakete!
Die Plennis strahlten. Major Worotilow und Dr. Kresin freuten sich mit. Sie verzichteten auf eine scharfe Kontrolle und gaben die Pakete binnen zwei Tagen aus. Markow und drei andere Offiziere leiteten die Ausgabe und untersuchten die Pakete flüchtig. Auf Peter Fischer und sein Paket lauerte schon vor der Baracke Michail Pjatjal.
»Hast bekommen deutsches Arbeitterpudding?« fragte er gierig. Peter Fischer nickte. Sieben Pakete Eiermanns Schnellpudding gingen in den Besitz von Pjatjal über, der mit seiner Errungenschaft glücklich davonrannte und in der Küche seine Schüssel holte.
Wasser … einen Quirl … das Pulver ins Wasser, gerührt … schwupps … der Pudding stand. Pjatjal stöhnte vor Wonne und stand mit glänzenden Kinderaugen davor. Bascha hinter ihm schnalzte mit der Zunge.
»Die Deutschen sind Teufelskerle«, sagte Pjatjal ehrlich. »Bei ihnen hat es der Arbeiter besser als bei Mütterchen Rußland.«
Die 782 Pakete reichten für das ganze Lager drei Wochen. Sie wurden ehrlich verteilt … Kameraden, die nichts bekommen hatten, wurden von den anderen bis aufs Gramm ehrlich bedacht … im Lazarett liefen Spenden ein … Schokolade, Marmelade, weißes Mehl, Büchsenmilch, Zucker, Kekse, Konserven mit Apfelmus und Gemüse. Blöcke von Margarine stapelten sich bei Dr. Böhler, der wie bei der ersten Paketsendung genau Buch führte und die Portionen verteilte.
Major Worotilow wurde eingeladen. Die Lagerbäcker hatten aus den Beständen einige Torten gebacken … es gab Neskaffee mit Sahne, die man aus Grieß mit Büchsenmilch geschlagen hatte. Auch Dr. Kresin wurde eingeladen, die Kasalinsskaja, die Tschurilowa, das ganze Lazarettpersonal … man feierte den Geburtstag Dr. Schultheiß'.
In den Baracken zog die gute Laune ein. Der Druck der Ungewißheit wich … wenn man Pakete durchließ, dann stimmte es auch mit der
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