Der Arzt von Stalingrad
mit.«
»Mit oder ohne Trompete?« schrie einer aus der Ecke.
Man lachte. Es war eine Erlösung, eine Befreiung … Man lachte schrill und ausgelassen und hieb Kerner auf die schmalen Schultern.
»Nimm sie mit, Julius«, rief einer. »Dann kannste ihnen die Internationale auf Herms Niels blasen!«
Karl Eberhard Möller sprang auf den Tisch. Seine Arme kreisten dirigierend über den Köpfen der Männer.
»Ein Lied!« schrie er. »Ein Lied. Drei – vier!«
»Völker, höret die Signale, auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht …«
Die Stimmen sprangen in die kalte Schneenacht hinaus. Leutnant Piotr Markow zog die Stirn kraus, als er den fernen Gesang hörte. Er las in der Prawda einen Roman von Paustinow.
Major Worotilow hörte nichts. Er saß an seinem Radio und hatte Europa eingeschaltet. Kurzwelle – Sender Berlin. Walzermusik durchströmte den warmen Raum. Ein Tenor sang mit weicher Stimme eine einschmeichelnde Melodie.
Franz Lehár. Der Graf von Luxemburg.
Im Sessel bei Worotilow hockte Janina Salja. Sie hatte die Beine hochgezogen und knabberte an einem Keks.
Worotilows breites Gesicht glänzte.
»Du bist schön«, sagte er leise.
Sie nickte stumm. Sie hatte Angst …
Dr. Böhler saß bei der Kasalinsskaja im Zimmer und sah die Berichte der einzelnen Sanitätsstationen der Außenlager durch, als Dr. Sergeij Basow Kresin eintrat und sich lachend an den Türrahmen stellte.
Er schien voller Humor und Frohsinn zu sein, er bebte förmlich vor Witz. »Ihre Landsleute sind herrlich!« schrie er voller Vergnügen. »Sie sind die Zukunft Europas!« Er prustete wie ein badender Elefant und setzte sich massig auf einen der herumstehenden Stühle. »Heute morgen haben sich drei Baracken geschlossen beim Major gemeldet.«
»Krank?« fragte die Kasalinsskaja.
»Nein! Zum Eintritt in die Kommunistische Partei!«
Dr. Böhler sah von den Papieren auf. Sein langes, schmales Gesicht war ausdruckslos. »Das ist ein Scherz, Doktor Kresin.«
»Gehen Sie doch hin zu Worotilow. Er zeigt Ihnen die lange Liste der neuen Weltrevolutionäre! Übrigens« – er gluckste vor Vergnügen – »Ihr Sanitäter Nummer eins ist auch dabei.«
»Emil Pelz? Unmöglich!«
»Sagen Sie nicht unmöglich, wenn er unterschrieben hat! Mit ihm die ganze Musterbaracke … der Gärtner, der kühne Trompeter, der versehentliche Sohn Sauerbruchs … sie alle.«
Dr. Böhler erhob sich. Seine Blicke kreuzten sich mit denen Alexandras. Er las in ihnen Schadenfreude und einen stillen Triumph. Sie wird immer eine Russin bleiben, dachte er. Nichts wird sie ändern … keine Liebe, kein Schmerz, kein seelischer Schock … Sie gehört zu Rußland wie die Wolga und der Don, der Ural, die Taiga und die Tundra …
»Waren Werber im Lager?« fragte er, nur um etwas zu sagen.
»Nein, o nein.« Kresin wieherte. »Wir werben durch Taten! Hunger erzeugt klare Köpfe! Wer nichts zu fressen hat, wird vernünftig! Das ist das ganze Geheimnis vom fruchtbaren Acker des Kommunismus. Je mehr Elend in der Welt, um so stärker die Partei! Satte Mägen revoltieren nicht!«
»Und was wird nun mit diesen Männern?«
»Worotilow muß sie an die Zentrale nach Moskau melden. Dann wird ein Kommissar kommen und sie sich ansehen, ob sie auch würdig sind, die Idee von Marx zu vertreten. Sind sie es, so kommen sie weg aus dem Lager.«
»Wohin?«
»Das weiß ich nicht.« Kresin zuckte mit den Schultern und grinste. »Auch der gefangene deutsche Kommunist bleibt ein gefangener deutscher Soldat! Ehe wir ihn laufen lassen, müssen wir die Gewähr haben, daß er in seiner Heimat auch das bleibt, was er uns hier verspricht. Wir werden nur kleine Gruppen zurückschicken …«
»Und wenn er in Deutschland abfällt?!«
Dr. Kresin wurde ernst und sah zu Boden. »Sie werden es nicht können. Man sagt ihnen, daß ein Abfall ihre zurückgebliebenen Kameraden treffen wird … nicht sie! Alle, die mit den Abgefallenen kamen, werden dann in ein Straflager kommen …«
Dr. Böhler sah Dr. Kresin erstaunt an. »Man scheint in Rußland viel vom deutschen Ehrgefühl zu halten …«
»Äußerst viel, Doktor! Die Geschichte hat uns gezeigt, daß der Kommunismus am kommunistischsten in Deutschland war. Das werden wir nie vergessen, wenn wir die Aufmarschbasis für den Sturm auf Europa ausarbeiten …«
»Sie sprechen wie Worotilow«, sagte Dr. Böhler verblüfft.
Kresin zuckte mit den Schultern.
»Wundert Sie das?« Er lachte sarkastisch. »Wir
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