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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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der Pfeife der Politmänner tanzen. Und wennste nich mehr willst, polier'n se dir de Fresse, det de nich mehr kieken kannst! Nee … denn lieber noch 'n Jahr …«
    »Es wird diesen Winter weniger zu essen geben, habe ich gehört«, warf Möller ein.
    Die Nachricht wirkte lähmend. Essen … das war die Hauptsache. Solange man kauen konnte, war das Leben erträglich. Erst mit dem Hunger stellte sich die Verzweiflung ein, der Zusammenbruch, das schreckliche Ende.
    »Wer sagt denn das?« zweifelte Julius Kerner.
    »Der Küchenbulle, der Pjatjal! Er hat schon seine Zuteilungslisten für den Winter bekommen! Pro Mann nur einen Liter Suppe am Tag! Vierhundert Gramm Brot!«
    »Das frißt ja kein Hund«, schrie Karl Georg. »Der Hund von Worotilow lebt besser. Der kriegt Fleisch. Habe ich selbst gesehen«, sagte Peter Fischer.
    »Und wir müssen der Bascha in den fetten Hintern kneifen, um ab und zu einen Löffel Fett zu bekommen!« Julius Kerner sprang von seinem Bett herab und setzte sich an den Tisch. »Wie war das, noch mal, Peter? Die in der KP sind, die werden schneller entlassen?«
    »Heißt es …«
    Kerner sah sich kopfkratzend im Kreise um. »Jungs, man sollte sich das überlegen. Die eigene Haut ist wertvoller als ein dusseliges Parteibuch. Das kann man verbrennen … aber die eigene Haut bleibt! Und warum sollen wir nicht Stalin loben, wenn wir dafür mehr zu fressen kriegen und schneller zu Muttern kommen? Was später ist … Jungs, das wird sich zeigen! Das wird sich alles einspielen. Erst laßt uns mal in Deutschland sein und uns richtig 'rausfressen. Dann sieht die Welt anders aus, und wir dazu! Was wissen wir, wie es in Deutschland zugeht? Ich habe es zuletzt 1942 gesehen! Im Frühjahr! Da hatt' ich Genesungsurlaub. Nach Stalingrad schrieb mir dann meine Else, daß sie schwanger ist … dann kam die große Scheiße, und alles war aus … Ich weiß nicht mal, ob es ein Junge oder ein Mädchen geworden ist.«
    Karl Georg sah an die Decke. In seinen Augen spiegelte sich die Heimat … Die Rhön … das weite, wellige Land mit den glitzernden, lautlosen, riesigen Vögeln unter dem blauen Himmel … die Wasserkuppe … Die Winde des Drahtseiles knirscht … das Segelflugzeug hebt sich empor … es schwebt in den Aufwind … Wie ein Silberpfeil gleitet es durch die Luft …
    »Wir lagen unter einem Holunderbusch, das letzte Mal«, sagte Karl Georg leise. »Es war der letzte Tag des Urlaubs. Und gestöhnt hat sie …«
    »Halt die Fresse!« sagte Kerner gequält.
    Karl Eberhard Möller legte sich halb mit dem Oberkörper über den Tisch. Seine Augen waren verschleiert, der Blick irrte von einem zum anderen.
    »Sollen wir uns alle melden?« fragte einer stockend. »Wir alle geschlossen?«
    »Zur Kommune?«
    »Ja. Vielleicht werden wir alle entlassen! Kinder … wir könnten Weihnachten in der Heimat sein! Unterm Weihnachtsbaum. Ich habe zwei Kinder … sie müssen jetzt sieben und zwölf sein! Zwei Mädchen! Ich werde am Klavier sitzen, und die beiden Gören und meine Trude, die singen. Die Kerzen brennen und knistern … es riecht nach Tannen und Kuchen, Nüssen und Marzipan. Die Glocken läuten …«
    »Aufhören«, schrie Julius Kerner. »Aufhören!« Er preßte beide Hände an die Ohren, über sein eingefallenes Gesicht zuckte es wie im Fieber. »Ich kann es nicht hören! Halt die Schnauze, Kerl …«
    Peter Fischer kaute an der Unterlippe, sein Gesicht war weiß. Er sprang auf und ging in das Halbdunkel des Raumes zurück. Er legte sich auf sein Bett und drehte das Gesicht zur Wand. Ein Zucken und Schütteln lief durch seinen Körper.
    »Was hat denn der?« sagte Georg leise.
    »Er hatte ein Mädel und wollte im nächsten Urlaub heiraten. Dann kam Stalingrad …«
    Die anderen schwiegen. Die Gedanken flogen zurück über Tausende von Kilometern. Sie drangen in enge Stuben und weite Wälder, in schmutzige Straßen und blühende Wiesen.
    Sie hat fünf Kinder … ob sie mit der Rente auskommt? Oder ob sie schneidern geht? Sie machte ja den Kindern alles selbst.
    Die Fabrik war 1942 zerstört … ob sie der Schwager wieder aufbaute? Und Luise? Ob das Haus noch steht? Die Rosen, die ich veredelt habe? Mein Gott, was war das für ein Leben … und heute wären ein Pfund Brot und ein Stück Butter das Paradies …
    Peter Fischer hieb mit der Faust auf den Tisch.
    »Das Leben ist so und so doch nur noch Scheiße! Ich trete der Kommune bei! Ich gehe zum Major und melde mich …«
    Julius Kerner nickte. »Ich gehe

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