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Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Verwundeten. Dort standen auch Dr. Böhler, Dr. von Sellnow und Dr. Schultheiß an den Tischen und operierten tage- und nächtelang, während die Mauern von Einschlägen schwankten.
    Heute ist ›Roter Oktober‹ wieder eine riesige, modern aufgebaute Fabrik mit einem Wald rauschender Schlote, hellen, gläsernen Montagehallen und einer großen Kantine, einem eigenen Werktheater, einem Kindergarten, einem Schwimmbad und einer Bibliothek mit allen Werken des Kommunismus. Sie ist eine Burg des Glaubens an die Zukunft, ein pulsierendes Herz der Revolution … eine Kraftquelle des Ostens gegen den Westen.
    Das Blut, das durch dieses Herz strömt, sind die deutschen Plennis und russischen Strafgefangenen, die sie aufbauten. Deutsche und amerikanische Architekten und Ingenieure, Konstrukteure und Statiker stehen in den großen Zeichensälen an den Reißbrettern und planen und bauen. Deutsche Arbeiter hocken an den Drehbänken und stehen in den Gießereien, an den Walzstraßen und Bohrern. Man murmelt sogar, daß der bis heute unsichtbare Chef des Werkes, der Dipl.-Ing. Piotr Wernerowski, ein Deutscher ist, Peter Werner aus Chemnitz. Niemand hatte bisher Dr. Wernerowski gesehen – auch Dr. von Sellnow nicht, nur unter den wöchentlichen Kampfparolen für die Kader der Arbeiterschaft stand sein Name – Dr. P. Wernerowski, eine typisch deutsche, in lateinischen Buchstaben gehaltene Unterschrift.
    Das ist das Lager Stalingrad-Stadt. Ein riesiges Herz. Eine geballte Riesenfaust, die nach Westen droht. Die Stadt Stalins, an der Deutschland zerbrach.
    Dr. von Sellnow stand auf dem Leninplatz vor dem wolkenkratzerähnlichen Parteihaus und blickte an der weißen Fassade empor, die das goldene Emblem von Hammer und Sichel krönte. Vor dem Eingang, zu dem eine riesige Treppe hinaufführte und dessen große Bronzetüren hinter mächtigen Säulen lagen, thronten auf hohen Sockeln Gipsstandbilder, von Stalin und Lenin.
    Sellnow sah sich zu Dr. Kresin um, der hinter ihm stand.
    »Gips ist vernünftig«, sagte er hämisch. »Man kann die Dinger schnell zerkloppen, wenn es mal nötig ist …« Er lachte. »Mit Eisen oder Bronze ist das schwieriger. Da weiß man nicht so schnell, wohin damit, und die Köppe rollen dann auf der Erde herum und liegen im Weg.«
    Dr. Kresin schnaubte durch die Nase. »Ich bin ein Rindvieh, daß ich ausgerechnet Ihnen Stalingrad zeige. Jeder Idiot wäre dankbarer als Sie!«
    »Das glaube ich Ihnen recht gern.« Sellnow sah sich auf dem weiten Platz um. Prachtbauten mit blitzenden Fensterfronten lagen in der kalten Wintersonne. Der Schnee glitzerte in kristallener Klarheit. »Nur einem Idioten können Sie erzählen, daß dies hier das wirkliche Gesicht Sowjetrußlands ist! Amerikanische Touristen werden es dankbar knipsen und zu Hause zeigen: Oh, Rußland – wonderful! Aber ich habe die andere Seite gesehen … die stinkenden Katen in den Dörfern, die Erdhütten am Rande von Orscha, die Blechbaracken bei Minsk.«
    Dr. Kresin wurde wütend. »Das sind keine Potemkinschen Fassaden. Gehen Sie doch hinein, Sie deutscher Hund! Dort wohnt man wie in einem Paradies. Und Arbeiter wohnen dort! Arbeiter! Wir sind ein Land, das die Massen liebt …«
    »Vor allem, wenn sie am Eismeerkanal beim Bau der Schleusen zu Millionen verrecken …«
    »Das sind Märchen! Das sind die Hetzreden der kapitalistischen Clique! Man mißgönnt Rußland den Anschluß an die Welt …«
    Dr. von Sellnow lehnte sich gegen eine der Säulen, die die Kolonnaden des Parteihauses trugen. Er steckte die Hände in die Taschen seiner Lammfelljacke, die man ihm aus alten Militärbeständen gegeben hatte. Sein knochiges Gesicht war von der Kälte gerötet.
    »Warum schleppen Sie mich eigentlich durch diese Stadt? Wollen Sie einen Kommunisten aus mir machen?! Das ist ein Versuch am untauglichen Objekt. Was ich vom Kommunismus weiß, genügt mir. Da helfen auch keine weißgetünchten Fassaden.«
    Dr. Kresin zog aus der Tasche seiner Pelzjacke, dessen Fell er wie ein sibirischer Bauer nach außen trug, was ihm etwas Bärenhaftes verlieh, eine Schachtel Zigaretten und bot Sellnow eine an. Indem er sie ihm ansteckte, meinte er:
    »Was halten Sie davon, ein großes russisches Krankenhaus zu übernehmen?«
    »Nichts.«
    »Wir suchen gute Ärzte. Amerikanische, englische, französische, indische, schweizerische Ärzte haben wir – warum sollen es nicht auch deutsche Ärzte sein? Ich hatte Zeit, Sie genügend zu beobachten, als Sie bei Dr. Böhler arbeiteten.

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