Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Arzt von Stalingrad

Der Arzt von Stalingrad

Titel: Der Arzt von Stalingrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
schreiben wir, daß wir bald nach Hause kommen. Bald … das ist ein relativer Begriff, dehnbar wie Gummi. An dieses Bild klammern wir uns, auch wenn wir nicht mehr daran glauben.
    Was wird, wenn ich Janina liebe und dann entlassen werde? Ich kann sie doch nicht mitnehmen. Und ich weiß, daß wir uns nie, nie vergessen werden, wenn wir uns einmal gehört haben, daß wir daran zugrunde gehen, sie und ich …
    Dr. Böhler ist drüben auf der Kommandantur. Er untersucht die Männer, die sich für den Eintritt in die KP gemeldet haben. Arme Kerle, die hoffen, damit ihre Leidenszeit abkürzen zu können. Der Russe weiß das auch, und er wird sie danach behandeln. Er wird sie treten und knechten, bis sie aufschreien und alles wieder von sich werfen. Dann wird es heißen: Ihr habt die Partei verraten! Ihr habt revoltiert gegen den Arbeiterstaat! Dreißig Jahre Zwangsarbeit! Und wieder marschieren Tausende in die Sümpfe und ans Eismeer, in die Urangruben von Swerdlowsk und Ufa, in die Bergwerke und die Kraftstationen von Irkutsk. Futter für den Moloch Rußland, Treibriemen für den Motor der Weltrevolution. Es ist zum Heulen, wenn man diese Männer sieht, die frierend im Schnee stehen und auf die Schlachtbank warten. Es half nichts, ihnen zuzureden … sie waren besessen von dem Glauben: Wir kommen früher in die Heimat! Auch Emil Pelz, unser Sanitäter, ist dabei. Der gute Kerl hofft, seine Frau in Berlin wiederzusehen …
    Überall, wo man hinsieht, ist Hoffnung.
    Sellnow hat gestern geschrieben. Einer der Männer, die in der Fabrik ›Roter Oktober‹ arbeiten, brachte das Schreiben mit – er schmuggelte es durch die Torkontrolle, indem er den Brief zwischen seine Schenkel band.
    Sellnow liegt seit zwei Tagen im Bett. Man weiß nicht, was es ist … eine Infektion, eine Vergiftung … sein Körper wurde plötzlich schlaff, die Beine knickten ein, er fiel in den Schnee und mußte von seinen Sanitätern in das behelfsmäßige Lazarett getragen werden. Dort begann er, sich selbst zu untersuchen, stellte Reflexstörungen fest und eine leichte Sehstörung. Die tieferen Ursachen dieser Funktionsausfälle konnte er nicht ergründen und ließ sich ins Bett tragen, wo er verbissen die Ereignisse der letzten Tage prüfte, um irgendwo einen Anhalt für eine Vergiftung oder eine Infektion zu entdecken.
    Dr. Kresin, der ihn am Tage darauf besuchte, fand ihn im Bett sitzend und schimpfend. Vor seinem Bett standen die Soldaten, die sich krank gemeldet hatten. Einer nach dem anderen mußte sich vor ihm auf das Bett legen, er klopfte den Brustkorb ab und diktierte den Sanitätern die Diagnosen und Therapien.
    Der Kommandant des Außenlagers Stalingrad-Stadt, ein junger russischer Leutnant aus der Komsomolzenschule, lehnte an der Wand und sah diesem Treiben grinsend und rauchend zu.
    Dr. Kresin warf alle Gefangenen aus dem Zimmer und begann dann, Sellnow selbst eingehend zu untersuchen. Aber auch Kresin konnte nicht feststellen, woher diese plötzliche Schwäche kommen konnte, und machte den Vorschlag, Sellnow zur Beobachtung in die staatliche Klinik von Stalingrad zu bringen.
    »Als ob die da mehr könnten als Sie«, murrte Sellnow. »Ihr könnt nämlich alle nichts …«
    Kresin setzte sich auf die Bettkante und nickte schwer.
    »Man sollte Sie liegenlassen«, meinte er.
    »Tun Sie's doch.«
    »Man ist idiotisch, daß man sich mit Ihnen überhaupt befaßt.«
    »Ich habe Sie nicht gerufen. Ich werde hier allein fertig. Und wenn ich nicht mehr kann, gebe ich Nachricht.«
    »Wie Sie wollen!« Dr. Kresin war gegangen, hatte draußen einen der Sanitäter am Rock gefaßt und geknurrt:
    »Wenn du mich nicht sofort unterrichtest, wenn sich der Zustand verschlechtert, kommst du ins Waldlager …«
    Nun schreibt Sellnow, daß es ihm ein wenig besser gehe. Aber er hat den Geruch völlig verloren. Er führt das nun doch auf eine leichte Vergiftung zurück, wenn es auch unerklärlich ist, wer ihn vergiftet haben könnte, womit und warum.
    Dr. Böhler hatte den Brief sinken lassen und war sehr nachdenklich geworden. »Es muß hier manches anders werden, Schultheiß«, hatte er zu mir gesagt. »Ich weiß nichts Bestimmtes, aber ich ahne etwas Schreckliches.«
    Mehr sagte er nicht. Und ich weiß nicht, was er damit andeuten wollte … ich bin so ganz in meine Aufgabe versunken, Janina zu pflegen und ihr das kurze Leben, das noch vor ihr liegt, schön und glücklich zu machen.
    Ob die Liebe wirklich heilt? Ob sie stärker ist als alle Medizin

Weitere Kostenlose Bücher