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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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hohe Birken gibt es dort. Vier Meter! Sind Sie zum ersten Mal in Island?«
    »Ja.«
    »Dann sollten Sie im Sommer wiederkommen. Jetzt im Winter kann man den Wald nicht besichtigen.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist alles zu. Die Piste ist gesperrt.«
    »Aber zum Langjökull kommt man doch?«
    »Sie wollen zum Langjökull? Das ist ein Gletscher.«
    »Das weiß ich. Aber beim Langjökull gibt es ein Haus. Wir fahren morgen dorthin. Ich und ein paar … Freunde.«
    »Húsafell«, sagte der Fahrer. »Sie meinen Húsafell. InHúsafell gibt es Häuser. Aber direkt beim Langjökull? Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht ein Schuppen. Für Benzin und Vorräte. Aber Motorschlittenfahren können Sie da jetzt auch nicht. Sie kommen gar nicht hin.«
    Hatte Jensen etwas falsch verstanden? De Reuse hatte doch von einem Haus am Fuß des Gletschers Langjökull gesprochen. Ein ererbtes Haus, es hatte seiner aus Island stammenden Mutter gehört.
    »Dann habe ich mich wohl geirrt«, sagte Jensen. Es würde sich morgen klären, wenn De Reuse und die anderen Teilnehmer des Privatseminars im Grand Hotel Reykjavík zu ihm stießen.
    »Vielleicht ein altes Gehöft«, sagte der Fahrer. »Das könnte schon sein. Aber wie gesagt, die Kaldidalurpiste ist bis Anfang Mai gesperrt. Haben Sie wirklich noch nie etwas von Jóhannes Kjarval gehört?«

    Jensen bezog sein Zimmer im Grand Hotel. Ein Page stellte ihm den Koffer auf die Ablage, Jensen drückte ihm eine Münze in die Hand.
    »Brauchen Sie sonst noch etwas?«, fragte der Page, der eine rote Hoteluniform trug. Als Jensen verneinte, kratzte der Page sich hinter dem Ohr und sagte: »Eine Begleitung vielleicht?«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
    »Ich könnte es arrangieren.«
    »Ich will fünf«, sagte Jensen. »Fünf Stuten. Pferde, verstehen Sie? Und ein paar junge Hunde. Aber es muss unter uns bleiben.«
    Der Page stieß einen höhnischen Laut aus und verschwand.
    Jensen prüfte nun die Bettlaken auf Sauberkeit, sein Vertrauen in das Hotel war erschüttert. Er entdeckte unter demKissen ein Haar, aber das mochte einem Zimmermädchen gehört haben. Das Zimmer war kalt möbliert, der Wille zur Modernität ließ einen frieren. New York! Paris! London!, schrien einem die Möbel entgegen. Dabei wären Möbel aus Walknochen doch viel authentischer gewesen. Einsamkeit und Walfang, das waren doch die beiden bedeutenden isländischen Traditionen; er mochte die Insel von Anfang an nicht.
    Er setzte sich ans Fenster und schaute hinaus in die nachmittägliche Nacht. In der Ferne zeichneten Lichter die Konturen der Hafenbucht nach. Rauchbucht, er hatte sich vor der Abreise informiert. Reykjavík hieß Rauchbucht, wegen der Dämpfe, die aus den heißen Quellen aufstiegen, die ganze Insel war eine Vulkangeburt; der Vulkan streckte gewissermaßen seinen zu Stein erstarrten Hintern aus dem Wasser, und über diesem Hintern ging nun um halb zwölf Uhr mittags die Sonne auf. Wie konnte man hier nur leben. Entweder war es den ganzen Tag hell oder ständig dunkel, die einzige Hoffnung war der Flughafen Keflavík. Jensen hatte vor Jahren eine Zeit lang mit großer Begeisterung ein Computerspiel gespielt, in dem kleine Spielfiguren auf Inseln Städte bauten, wenn man ihnen den entsprechenden Befehl dazu gab. Aufgrund eines Programmierfehlers gehorchten aber nach einer Weile einige der Spielfiguren den Befehlen nicht mehr: Anstatt Häuser zu bauen und Weizen zu ernten, versammelten sie sich an den Ufern ihrer Insel und starrten tatenlos aufs Meer. Durch nichts waren sie dazu zu bewegen, wieder an ihre Arbeit zurückzukehren. Sie standen einfach nur an der Küste, jeder für sich, mit den Füßen im Wasser. Einsamkeit und Walfang. Zumindest eine dieser Traditionen teilte Jensen mit den Isländern, das mochte der Grund sein, warum ihm die Insel spontan unsympathisch war.
    Er schaute auf die Uhr des Fernsehers. Es war vier. In zwei Stunden erst stand ihm die Bar offen. Da der Alkohol seine Mutter früh ins Grab gebracht hatte, hielt Jensen sich strikt an die Regel, nie vor sechs Uhr abends zur Flasche zu greifen. Er beschloss, die beiden Stunden, die noch vergehen mussten, auf dem Bett liegend zu verdösen. Die Matratze war zu weich, wahrscheinlich hatten zu viele isländische Begleitungen auf ihr gelegen.

    Als er erwachte, traute er seinen Augen nicht: Die Digitaluhr des Fernsehers zeigte 22:08. Er hatte sechs Stunden geschlafen. Nun war es zu spät, um O’Hara anzurufen und ihr mitzuteilen, dass er gut angekommen

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