Der Assistent der Sterne
sich über Belangloses, den außergewöhnlich strengen flämischen Winter, die Rivalität zwischen Antwerpen und Brüssel, und schließlich, nach drei Pils, kam De Reuse auf die Frauen zu sprechen. Er sagte, er sei jetzt achtundfünfzig, gehöre aber glücklicherweise zu den Männern, deren Schönheit durch den Reifungsprozess an Tiefe gewinne. Er fragte Jensen, ob er den Song »A Gift« von Lou Reed kenne, die Zeile »Like good wine I get better as I get older«. Jensen sagte, er kenne dieses Lied, und die Selbstironie darin sei nicht zu überhören. De Reuse bestritt das, nein, Reed habe es ebenso ernst gemeint wie er selbst. De Reuse war tatsächlich ein auffallend attraktiver Mann; sein Lächeln hatte etwas Unwiderstehliches, auf Frauen musste es geradezubetörend wirken. Man konnte ihm höchstens vorwerfen, dass er damit hausierte.
Sie waren jetzt beide unterschiedlich schwer betrunken.
Ich leicht, dachte Jensen, er schwer. Wahrscheinlich hatte De Reuse zuvor schon getankt.
De Reuse schwärmte weiter von sich selbst, Jensen fand es lächerlich, aber doch auch amüsant, charmant sogar. De Reuse war einer jener Männer, denen jeder Selbstzweifel fremd war, die einem den Arm um die Schulter legten und sagten: »Du musst doch zugeben, dass ich ein toller Kerl bin.« Und man gab es zu, man gestand sich ein, dass diese eiserne Selbstverliebtheit etwas Grandioses hatte. Man erlag der Versuchung, sich solchen Männern auf ihrem Weg zum Kaiserthron anzuschließen.
So ist das doch, dachte Jensen.
Er schwer, ich schwer, dachte er.
Zwei Gläser isländische Thule-Hühnerpisse, und danach sechs reine Pils; er war nahe daran, De Reuse das Du anzubieten.
»Und morgen«, sagte De Reuse mit großer Geste, »morgen werden Sie meine Assistentin kennenlernen. Ilunga Likasi. Was für ein Name! Man hört die Palmen rauschen!«
»Ein schöner Name«, sagte Jensen, er musste ein Rülpsen unterdrücken.
»Er stammt von einer afrikanischen Königin. Sie hat mir das einmal erzählt. Eine mythische Königin aus dem Kongo, Ilunga. Jedenfalls schlafen wir miteinander. Ich vertraue Ihnen das an, weil Sie es irgendwann sowieso gemerkt hätten. Der Dozent und seine Assistentin … ich hoffe, Sie finden das nicht allzu trivial.«
»Das geht mich nichts an«, sagte Jensen. »Sie können tun und lassen, was Sie wollen.«
De Reuse lachte.
»Wie schön das wäre!«, sagte er.
Zwei Polizisten setzten sich an die Bar, der Kellner begrüßte sie per Handschlag. Die Polizisten lockerten ihre Krawatten, einer hängte seine Uniformjacke an den Haken unter der Theke. Ein Dienstvergehen, dachte Jensen. Er schüttelte missbilligend den Kopf. In Belgien war es Polizeibeamten verboten, nach Dienstschluss in Uniform auszugehen, aber in Island warteten sie hier wahrscheinlich auf Begleitungen.
»Ich habe übrigens vor«, sagte De Reuse, »Ilunga zu überraschen. Ich möchte ihr den Langjökull zeigen.«
»Den Gletscher«, sagte Jensen. Der Rand seines Bierglases verdoppelte sich.
»Das ist der Grund, weshalb ich zwei Tage früher angereist bin. Ich wollte das Equipment nicht im Flugzeug transportieren. Es wäre zu aufwendig gewesen. Und natürlich hätte sich Ilunga über den zusätzlichen Koffer gewundert. Ich habe gestern alles hier in Reykjavík gekauft. Thermounterwäsche, ein Navigationsgerät, Eispickel, Zelt, Seile. Können Sie mir noch folgen, Jensen?«
»Natürlich.« Er hatte das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein. De Reuse wirkte plötzlich nüchtern, während er zweifellos ins Bett musste. Noch dieses eine Glas, dachte er, dann ist Schluss.
»Sie und Van Gaever werden also drei oder vier Tage allein sein. Das macht Ihnen doch nichts aus?«
Konzentrier dich, dachte Jensen.
»Sie machen mit Ihrer Freundin eine Gletschertour?«, fragte er.
»Bravo! Gut kombiniert!« De Reuse klopfte Jensen auf die Schulter. »Ja, so ist es. Ich werde mit ihr über den Langjökull wandern. Drei Tage auf dem Eis, Übernachtung im Zelt, Erfrierungen ersten Grades.« Auch De Reuses Lächelnwollte sich verdoppeln. »Wenn Ilunga wüsste, was ich vorhabe, würde sie natürlich nicht mitkommen. Sie ist außerordentlich verwöhnt. Und verwöhnte Menschen muss man zu ihrem Glück zwingen. Ich werde sie also überlisten müssen. Wenn wir morgen im Haus ankommen und das Gepäck ausladen, wäre ich froh, wenn Sie behaupten würden, dass der Koffer mit dem Equipment Ihnen gehört. Nur ein kleines Täuschungsmanöver, falls sie misstrauisch wird. Kann ich auf
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