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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Zwillings-Photon, dachte Jensen. Das eine Photon wusste nicht, welche Messung man an seinem Zwillingsteilchen in einer Minute oder am nächsten Tag durchführen würde. Es wusste nur, welche Messung genau jetzt, in diesem Augenblick, an ihm vorgenommen wurde.
    Sie werden sie finden, hatte Lulambo gesagt.
    Das kann man akzeptieren, dachte Jensen, es bezieht sich auf die Gegenwart, er wusste, aus welchen Gründen auch immer, dass sie auf der Gigantia 2 war.
    Und dann werden Sie sie töten.
    Das allerdings, dachte Jensen, bezieht sich auf die Zukunft und ist folglich Spekulation.
    Er strich sich über den Hals. Von der Bisswunde war nichts mehr zu spüren, die Haut fühlte sich glatt und heil an. Vielleicht waren Narben zurückgeblieben, das würde sich zeigen, sobald es wieder Spiegel gab.

    Kurz nachdem Jensen aufgehört hatte, die Speisen zu zählen, ging die Tür auf. Jensen erwartete Li Zhang zu sehen, wen sonst. Es waren aber zwei Polizisten, beide noch sehr jung. Der eine war blond, der andere ein Riese, und beide rochen, als hätten sie in Rasierwasser gebadet. Während der Blonde Jensen über seine Rechte aufklärte, packte der Riese ihn am Arm und sagte in weichem, melodiösem Niederländisch: »Du stinkst wie ein toter Hund.«
    Jensen verlangte seine Skijacke, sein Handy, seine Schuhe, die Polizisten lachten.
    »Wir sind hier nicht in Amsterdam«, sagte der Riese. Er legte Jensen Handschellen an. Sie sprangen aber wieder auf.
    »Halt still!«, herrschte er Jensen an.
    Der Blonde schüttelte den Kopf. »Lass mich das machen.« Er befahl Jensen, die Hände vorzustrecken. Dann drückte er die Handschellen zu, aber sie rasteten nicht ein.
    »Das muss ich melden«, zischte er dem Riesen zu.
    »Und du?«, erwiderte der andere. »Warum hast du deine nicht dabei?«
    »Halt’s Maul!«
    Sie stritten sich. Jensen stand gehorsam da, mit ausgestreckten Armen, an seinem Handgelenk baumelte die defekte Handschelle. Er biss sich auf die Lippen, aber der Lachdrang wurde übermächtig. Er lachte wie noch nie zuvor in seinem Leben, ihm schien, als löse er sich in diesem Lachen auf, er bekam keine Luft mehr.
    Der Riese verpasste ihm mit dem Ellbogen einen Schlag gegen die Brust; Jensen fiel auf die Knie, er wand sich vor Lachen, sie stießen ihn mit der Schuhspitze an, er zog schützend die Beine vor den Körper, ein Embryo im Lachkrampf. Sie drehten ihm den Arm auf den Rücken, der Schmerz trieb ihm das Lachen aus, dafür war er dankbar.
    Sie mussten ihn aus dem Raum hinausschleppen, er war völlig erschöpft, brachte keinen Fuß mehr auf den Boden. Gänge, Türen, es glitt alles an ihm vorbei. Ein Bullauge blitzte auf, das Licht blendete ihn, er schloss die Augen. Die Polizisten hassten die Anstrengung, sie fluchten, ihr heißer Atem blies Jensen um die Ohren. Sie stießen Jensen durch ein offenes Schott, hinaus aufs Deck, der Anblick des Himmels warf ihn nieder. Er klammerte sich an die Reling, aus Angst, sich in der Weite, die ihn umgab, zu verlieren. Der Himmel spannte sich über die ganze Erde, und in der Mitte thronte das glühende Auge, das Jensens Netzhaut zu verbrennen schien. Seine Augen sehnten sich nach dem Nachtlicht zurück, während aber seine Ohren, die gleichfalls lange unter Sinnesentzug gelitten hatten, dankbar dieGeräusche aufsogen, das Gewirr menschlicher Stimmen, das Hupen der Autos, und jemand sang mit heller Stimme. Jensen öffnete vorsichtig die Augen, er hätte die Frau gern gesehen, denn ihr Gesang war es, der ihn in die Welt zurückführte.
    »Seid ihr da drüben alle solche Schwächlinge wie du?«, fragte der Riese. Sie steckten ihn in einen Wagen, die Fahrt dauerte nur wenige Minuten.
    Im Polizeibüro drehte sich an der Decke ein Ventilator, dem ein Rotorblatt fehlte. An der Wand hing ein verblichenes Foto der niederländischen Königin als junge Frau. Jensen saß auf dem Stuhl vor dem Pult, barfuß, mit nacktem Oberkörper, er trug nur seine Hose. Der Blonde setzte sich ans Pult. Jensen sagte, er sei ehemaliger Inspecteur der flämischen Polizei. Er könne sich ausweisen. Dazu brauche er aber seine Jacke mit dem Dienstausweis. Er verlangte noch einmal vor allem seine Schuhe. Und die Pullover. Der Blonde steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Er blätterte in Papieren.
    »Hier«, sagte er.
    Er schob Jensen ein Blatt zu.
    »Unterschreiben.«
    Jensen las das Dokument, es war in holpriger Amtsprache verfasst. Er, Hannes Jensen, habe zum Zweck illegaler Einreise nach Surinam unerlaubten Einsitz,

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