Der Assistent der Sterne
so stand es da, unerlaubten Einsitz genommen auf dem Frachter Gigantia 2. Es folgte eine Aufstellung der Kosten, die der Reederei dadurch entstanden waren. Ihm wurden einunddreißig Mahlzeiten in Rechnung gestellt, zu total 63,80 Surinam-Dollar. Hinzu kam ein Posten »Betreuung«, 134,50 Surinam-Dollar. Jensen unterschrieb. Er kannte den Wechselkurs des Surinam-Dollars gegenüber dem Euro nicht, aber dass die exquisiten Speisen des Bordkochs nur halb so viel kostetenwie die sogenannte Betreuung, hieß, dass er für wenig Geld sehr lange sehr gut gegessen hatte. Er betrachtete es als eine Art Wiedergutmachung und verlangte, mit dem belgischen oder deutschen Botschafter in Paramaribo zu sprechen. »Vielleicht. Wer weiß«, sagte der Blonde. Er schob Jensen ein Briefkuvert über den Tisch. Jensen schaute hinein, es war leer. »Was soll ich damit?«, fragte er.
Der Blonde schwieg. Er griff nach einem Aktenordner, benetzte seinen Finger und arbeitete sich durch die Blätter. Der Deckenventilator quietschte bei jeder Umdrehung. Jensen griff in seine Hosentasche, die beiden Fünfzig-Euro-Scheine machten jetzt Sinn. Er steckte sie ins Kuvert.
»Also was jetzt?«, fragte der Blonde. »Zu den Deutschen oder zu den Belgiern?«
Da Jensen mit zahlreichen Formalitäten rechnete, er brauchte ja für die Heimreise einen Pass, entschied er sich für die Deutschen, denn die Belgier hatten die Bürokratie zu einer Kunstform erhoben, und alle Kunst will Ewigkeit.
Zwei Stunden später saß Jensen im Büro des Honorarkonsulats, in einem roten Seidenhemd des Sekretärs, der ihm auch ein Paar Sandalen leihweise überlassen hatte, »Bis alles geklärt ist«. Der Sekretär sprach englisch, mehrmals versicherte er Jensen, dass ihm das Hemd gut stehe. Er versprach, sich um alles zu kümmern. Das Fenster stand offen, die Sonne schien mit Wucht herein. Im Vorgarten pfiffen tropische Vögel; ein merkwürdiges gelbes Insekt schwirrte ins Büro und suchte hartnäckig Jensens Nähe.
Das Telefon auf dem Tisch zog Jensens Blicke auf sich, aber er beschloss, Annick nicht anzurufen. Falls sie das Kind verloren hatte, wollte er es nicht am Telefon erfahren. Achtzehn Tage lang war er weg gewesen, so lange hatte seine Gefangenschaft gedauert; auf zwei oder drei Tage mehrkam es nicht mehr an. Er fragte aber dann doch, ob er telefonieren dürfe. »Mein Gott! Natürlich!«, sagte der Sekretär und drehte das Telefon mit einer eleganten Bewegung Jensen zu; die goldenen Fingerringe des Sekretärs blitzten im Sonnenlicht auf.
Jensen wählte Stassens Nummer. Das Rufzeichen klang, als werde es in weiter Ferne erzeugt. Nach einer Weile brach es ab, und auf ein Rauschen in der Leitung folgte das Besetztzeichen. Jensen versuchte es erneut, und jetzt meldete Stassen sich.
»Ich bin’s«, sagte Jensen.
»Hannes? Heilige Scheiße! Wo zum Teufel steckst du?«
»Ich bin in Surinam.«
»Ja natürlich. Darauf hätte ich kommen müssen. Surinam. Wo denn sonst?«
»Ich erkläre dir alles, wenn ich wieder in Brügge bin. In zwei oder drei Tagen.« Jensen warf dem Sekretär einen fragenden Blick zu. Der Sekretär nickte, kein Problem, zwei oder drei Tage.
»Surinam«, sagte Stassen. »Und? Wie ist das Wetter dort? Wir stehen hier bis zum Nabel im Schnee, bei minus fünf Grad. Und du bist in Surinam. Wie schön, dass du mir das endlich mitteilst. Ich dachte nämlich, dass du vielleicht irgendwo im Wald liegst. Oder dass du abgehauen bist. Ich habe vor allem das in Betracht gezogen. Bist du abgehauen? Wenn ja, darfst du jetzt zurückkommen. Natürlich nur, wenn du willst. Die Palmen, das Meer, die Sonne, vielleicht kannst du dich davon gar nicht mehr trennen.«
»Hör zu, Frans. Ich muss mich kurzfassen.« Der Sekretär schüttelte den Kopf, nein, sprechen Sie nur so lange Sie wollen. Er deutete mit dem Finger auf die Tür, und zuvorkommend wie er war, verließ er das Büro, damit Jensen ungestört reden konnte.
»Ich rufe dich nur an …«, sagte Jensen, »… wegen der Frau. Ilunga Likasi. Hat sie sich bei Verstreken gemeldet?«
Stassen schwieg einen Moment.
»Ja«, sagte er. »Nicht bei ihm. Aber doch, sie hat sich gemeldet. Vor ungefähr zwei Wochen.«
»Und?« Jensen spürte es. Das war keine Kunst, Stassens Stimme hatte sich verändert.
»Und was?«, fragte Stassen.
»Was hat sie Verstreken erzählt? Das will ich wissen. Das kannst du dir ja wohl denken!«
Wieder schwieg Stassen.
»Wie stehst du zu dieser Frau?«, fragte er.
Jensens Ahnung verdichtete
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