Der Assistent der Sterne
sich. Aber noch war es nicht ausgesprochen, noch bestand die Hoffnung, dass er sich irrte.
»Das weiß du doch«, sagte er. »Wir hatten keine Beziehung. Eine einzige Nacht, das war alles.«
»Liebst du sie?«
»Bist du taub!« Er war ganz erleichtert: Liebst du sie. Nicht: Hast du sie geliebt. »Nein, ich liebe sie nicht. Da ist nichts. Außer dieser einen Nacht. Die ich bereue. Im Nachhinein. Also. Was hat sie Verstreken gesagt?«
Das gelbe Insekt berührte Jensens Stirn, er schlug nach ihm.
»Bereut man nicht alles erst im Nachhinein?«, fragte Stassen.
»Nein. Man kann die Tat an sich bereuen oder die Konsequenzen. Und ich bereue die Tat nur, weil sie Konsequenzen hatte, von denen ich im Vorhinein nichts wissen konnte. War das jetzt spitzfindig genug?«
»Sie hat sich gemeldet«, sagte Stassen. »Ein paar Stunden nachdem du mich angerufen hast. Du warst in Antwerpen.Am Hafen. Erinnerst du dich? Es war das letzte Mal, dass ich von dir …«
»Ja, Frans. Ich erinnere mich daran, sehr gut. Das kannst du mir glauben. Und weiter?«
»Sie wollte ihr Auto und ihre Handtasche zurückhaben. Die wussten zuerst gar nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Sie hat sich in der Paleisstraat gemeldet. Und Verstreken sitzt in der Handelstraat. Aber dann haben die Kollegen in der Paleisstraat ihren Namen eingetippt …«
»… und sie haben Verstreken aus dem Bett geholt. Und weiter?«
»Sie haben sie in die Handelstraat gefahren.«
»Natürlich.«
»Verstreken hat sie vernommen. Sie sagte, ihr Freund, dieser De Rope …«
»De Reuse.«
»Richtig. De Reuse. Sie sagte, dass sie einen Streit gehabt hätten. Ihr Freund sei aggressiv geworden. Sie habe sich bedroht gefühlt. Und in einer Kurzschlusshandlung habe sie mit dem Messer auf ihn eingestochen. Dann sei sie davongerannt. Sie sei ziellos durch die Stadt gelaufen. Sie sei außer sich gewesen vor Angst, ihren Freund getötet zu haben. Sie hat eine Nacht im Freien verbracht. Bei dieser Kälte!«
»Das stimmt nicht«, sagte Jensen. Er verstand nicht, warum sie Verstreken diese Geschichte erzählt hatte. »Hat Verstreken ihr geglaubt?«
»Natürlich nicht. Ihr Freund hatte ja ein Alibi. Das steht alles in Verstrekens Bericht. In seinem ersten.«
»Im ersten?«
»Ja.«
»Es gibt also einen zweiten.«
»Jedenfalls musste Verstreken die Akte schließen. Die Verschwundene war ja wieder aufgetaucht, sie saß vor ihmauf dem Stuhl. Es wird dich vielleicht interessieren … geht es dir gut?«
»Ja. Es geht mir gut.«
»Ich habe das noch gar nicht gefragt.«
»Es geht mir gut, Frans. Danke.«
»Verstreken also. Er hat in seinem Bericht erwähnt, dass auf dem Zettel, dem Drohbrief, der in der Handtasche der vermissten Frau gefunden wurde, deine Fingerabdrücke zweifelsfrei nachgewiesen wurden. Außerdem hat ihr Freund, De Reuse«, sagte Stassen, »De Reuse«, wiederholte er, »dich bei Verstreken angeschwärzt. Am Tag, an dem du verschwunden bist. Er sagte, du hättest seine Freundin umgebracht. Gleichzeitig gab er aber zu, dass auch er sie umgebracht hätte, wenn du ihm nicht zuvorgekommen wärst. Das ist alles ziemlich verwirrend, findest du nicht? Vor allem, wenn das Mordopfer dann plötzlich vor dir sitzt, quicklebendig, und dir erzählt, dass jetzt wieder alles in Butter ist. Sie hat sich mit ihrem Freund, der gestanden hat, dass er sie umbringen wollte, wieder versöhnt. Er hat ihr vergeben, dass sie auf ihn eingestochen hat, es war alles nur ein Streit unter Liebenden. Und jetzt möchte sie bitte ihren Wagen und ihre Handtasche zurück. Und das Leben geht weiter. Es klang alles völlig unglaubwürdig, aber Verstreken konnte nichts tun. Wahrscheinlich hat er sogar bedauert, dass die Frau noch lebte, ich könnte es mir vorstellen. Er musste eine Akte schließen, die förmlich danach schrie, dass man sie auf dem Pult behält.«
»Ja«, sagte Jensen. Das gelbe Insekt hockte auf seiner Hand. Es entfaltete seine spitzen, durchsichtigen Flügel. Er schüttelte es ab, es surrte an seinem Ohr vorbei. »Aber dann ist etwas geschehen.«
»Ja.«
»Und er hat die Akte wieder geöffnet.«
»Hm.«
»Er hat einen zweiten Bericht geschrieben. Was steht da drin?«
»Dass du unschuldig bist«, sagte Stassen. »Er hat es nicht direkt so formuliert. Aber es ergibt sich aus den Tatsachen.«
Sprich es endlich aus!, dachte Jensen.
»Und du bist sicher, dass dir diese Frau nichts bedeutet?«, fragte Stassen.
»Würde es denn etwas ändern?«
»Deine Freundin. Annick
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