Der Assistent der Sterne
seine Ohren, die schwächste Stelle; er hatte keine Wollmütze dabei, und die Kapuze seiner Wetterjacke schien die Kälte eher zu speichern als fernzuhalten. Er blieb stehen und blickte hinüber zum Wagen, dessen Innenraum erleuchtet war, ein mildes, verlockendes Licht. Ilunga Likasi hatte sich keineswegs in ihr Zimmerzurückgezogen, sondern an den einzigen warmen Ort, der Motor summte im Leerlauf. Jensen konnte durch die beschlagenen Scheiben ihre Silhouette sehen. Sie vergeudete Benzin; er fragte sich, ob überhaupt noch genug im Tank war für die Rückfahrt nach Reykjavík. Es war ein schwerer Wagen mit großem Hubraum, und sie waren stundenlang gefahren. Andererseits war De Reuse nach Jensens Einschätzung ein Maulheld, der das Abenteuer suchte, ohne es wirklich finden zu wollen. Bestimmt gab es hier irgendwo einen Vorrat an Benzin, wahrscheinlich im Schuppen hinter dem Haus.
Jensen legte sich die Hände auf die Ohren und stapfte durch den hartgefrorenen Schnee zur Rückseite des Hauses. Hier blies der Wind heimtückisch, in Böen, die ihn so heftig ansprangen, dass er sich dagegenstemmen musste. Seine Augen tränten, die Lippen wurden hart, er spürte die Kälte bereits auf den Knochen. Er rang mit dem Wind um die Schuppentür, zerrte sie auf und schlüpfte durch den Spalt hinein, bevor der Wind die Tür hinter ihm zuschmetterte. Der Generator war sorgfältig mit mehreren Schichten Isoliermaterial umwickelt, und ebenso sorgfältig hätte man die Schichten wohl entfernen müssen. Jensen riss einfach alles weg und zerrte dann an der Starterleine. Der Motor gluckerte, erst nach mehreren Versuchen sprang er endlich an. Eine Glühbirne flackerte, es wurde hell im Schuppen. An der Rückwand standen fünf Benzinkanister, Jensen überzeugte sich davon, dass sie alle voll waren.
Er schaltete die Taschenlampe aus, die Scheunentür quietschte, begleitet von einem Windstoß betrat De Reuse die Scheune, um zu loben.
»Bravo! Ich sehe, man kann sich auf Sie verlassen.«
Als De Reuse allerdings die Verwüstung entdeckte, das zerrissene Isolationsmaterial, änderte er seine Meinung, eswar ihm deutlich anzusehen. »Und über das hier«, sagte er, »sprechen wir ein andermal.«
»Gern«, sagte Jensen. Er hatte das schon lange nicht mehr erlebt, vielleicht seit seiner Kindheit nicht mehr: Seine Zähne klapperten. Er war bereits vollkommen unterkühlt, dringend musste er sich aufwärmen. Er drängte sich an De Reuse vorbei und eilte zum Wagen. Wie verschwenderisch warm musste es dort drin sein! Ilunga Likasi hatte sogar das Fenster einen Spalt geöffnet, um nicht schwitzen zu müssen. Die Türen hatte sie allerdings verriegelt, Jensen klopfte an die Scheibe. Sie ließ das Fenster ein Stück weiter hinunter, ein Schwall warmer Luft wehte ihm ins Gesicht und löste ein Wohlgefühl aus, wie wenn man hungrig war und Bratenduft roch.
»Was wollen Sie?«
»Ich möchte mich in den Wagen setzen«, sagte er. »Es ist sehr kalt.«
»Das wird ihm nicht gefallen.«
»Das ist lächerlich. Ich möchte mich nur aufwärmen. Öffnen Sie bitte die Tür.«
»Wie Sie wollen.« Die Türschlösser knackten, Jensen stieg auf den Rücksitz und zog die Tür zu. Sein Gesicht begann in der Wärme sofort zu prickeln, es war herrlich.
»Danke«, sagte er. Dabei war es doch eigentlich selbstverständlich.
»Sie sind ein Idiot«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
»Weil ich die Einladung zu diesem … Seminar angenommen habe? Da haben Sie allerdings recht.«
Sie lachte.
»Ja. Deswegen auch«, sagte sie. »Aber ich meinte etwas anderes.«
Jensen schwieg. Offenbar war De Reuse ein eifersüchtiger Liebhaber; andererseits war sie nicht die Frau, die einemunweigerlich den Kopf verdrehte. Sie hatte große, auffallend schöne Augen, die in ihrem derben Gesicht wirkten, als hätten sie sich dorthin verirrt. Ein rohes, fast stumpfes Gesicht und darin diese zwei Juwelen. Vielleicht waren sie es, die De Reuse keinem anderen gönnte.
Die Klimaanlage rauschte, der Wind rüttelte am Wagen. Jensen zog die Handschuhe aus, er hielt seine Hände über die Lamellen, über die der hintere Fahrgastraum beheizt wurde. Das Gespräch war beendet, die Wärme und das Schweigen machten Jensen schläfrig. Um sich wach zu halten, rieb er die beschlagene Scheibe trocken. Er blickte hinüber zum Haus, im unteren Stock brannte jetzt Licht. Hinter einem der Fenster sah er Van Gaever, der noch immer seine Fellmütze trug. Aus dem Kamin stieg verwehter Rauch auf, man erkannte es
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