Der Assistent der Sterne
daran, dass die Sterne über dem Haus davon verschleiert wurden. Bestimmt dauerte es aber noch Stunden, bis das ausgekühlte Haus auf eine angenehme Temperatur aufgeheizt war. Ilunga Likasi saß reglos vorn auf dem Beifahrersitz, Jensen begann ihre Anwesenheit zu vergessen. Er dachte daran, aus seinem Koffer im Haus einen der Klassiker zu holen, die er in Brügge gekauft hatte. Es wäre halbwegs gemütlich gewesen, hier im Wagen zwei oder drei Stunden mit Gogol zu verbringen, bis es im Haus warm genug war. Wahrscheinlich wäre er aber schon nach einer Seite eingeschlafen, und vielleicht hatte sie ja recht, vielleicht war es besser, wach zu bleiben. Hatte sie das gesagt? Nicht direkt, aber sie hatte es angedeutet. De Reuse war eifersüchtig, und Jensen traute ihm jetzt durchaus eine unbesonnene Reaktion zu. Er zog die Winterjacke aus. Unter keinen Umständen wollte er sich hinterher verschwitzt der Kälte aussetzen, eine Erkältung wäre dann unvermeidlich gewesen.
»Er kommt«, sagte Ilunga Likasi. Sie drehte sich zuJensen um, er sah in ihren schönen Augen einen Vorwurf, aber keine Angst. So schlimm konnte es also nicht sein. Er blickte aus dem Fenster, draußen schwankte ein Licht, die Taschenlampe. De Reuse leuchtete mit der Lampe ins Wageninnere, dann riss er die Beifahrertür auf, der Wind wehte Schneepartikel hinein.
»Beruhig dich«, sagte Ilunga Likasi sofort.
De Reuse, umtost von Böen, streckte seinen Kopf in den Wagen, die Likasi rückte zur Seite, als befürchte sie Schläge. »Ich habe ihn gewarnt«, sagte sie. Sie deutete vage auf Jensen. »Ich sagte ihm, dass du solche Dinge nicht tolerierst. Aber er scheint zu glauben, dass er hier machen kann, was er will.«
»Das kann er ja auch«, sagte De Reuse. »Der Einzige, der nicht machen kann, was er will, bin ich. Der Generator läuft jetzt«, wandte er sich an Jensen. »Sie haben sich zu früh davongemacht. Sie haben Ihre Aufgabe nicht erledigt. Der Motor ist noch drei- oder viermal abgesoffen. Ich habe mich darum gekümmert, aber morgen werde ich das nicht mehr tun. In der Küche gibt es Suppe.«
De Reuse stapfte gegen den Wind zum Haus zurück, mit einer Hand hielt er seine Kapuze fest.
»Das vergisst er nicht«, sagte Ilunga Likasi. Sie stieg aus, sie rief: »Warte! Ich komme mit!« Die Wagentür ließ sie offen. Jensen beugte sich über den Vordersitz und zog sie zu. Er sah die beiden zum Haus gehen. Vor der Tür blieben sie stehen. De Reuse wischte mit einem kleinen Besen sich und Ilunga den Schnee von den Schuhen. Dann gingen sie hinein und schlossen die Tür.
Er war nicht hungrig, die Suppe konnte warten. Eine Stunde, vielleicht auch länger genoss Jensen noch die Abwärme des Motors. Dann setzte er sich nach vorn auf den Fahrersitz.Der Wagenschlüssel steckte, der Benzinzeiger touchierte den roten Bereich. Jensen vermutete, dass Generatoren mit Diesel betrieben wurden. Wie dieser Wagen auch. Im Schuppen standen fünf Kanister, zu mindestens je zwanzig Litern. Damit würde sich der Tank füllen lassen, einen Einfüllstutzen hatte Jensen gesehen.
Es waren Gedanken an eine Flucht, nicht ernst gemeint, er wollte es nur einmal durchspielen. Die Gelegenheit war günstig. Er hätte die Kanister holen können, in der Dunkelheit wäre es niemandem im Haus aufgefallen. Der Wagenschlüssel war in seinem Besitz, es schien, als seien ihm alle Mittel für eine heimliche Abreise in die Hände gelegt worden. Aber in Wahrheit waren seine Hände leer. Wie hätte er denn nach Reykjavík zurückfinden sollen? Er wusste ja nicht einmal genau, wo er war. Die Kaldidalurpiste war nur für den Kundigen überhaupt zu erkennen, Wegweiser fehlten, und es gab niemanden, den man nach dem Weg hätte fragen können. Mit einem Kompass wäre es ihm vielleicht gelungen, durch Einhaltung eines südwestlichen Kurses die Ringstraße zu erreichen, die an der isländischen Küste entlang verlief. Aber er besaß keinen Kompass. Es war deshalb vernünftiger, vielleicht nicht heute, aber morgen De Reuse zu bitten, ihn nach Reykjavík zurückzufahren.
Das wird er nicht tun, dachte Jensen. Er wusste es einfach: De Reuse würde diese Bitte abschlagen. Unsinn, dachte er. Mach dich nicht verrückt. Morgen sagst du es ihm.
Er schaltete den Motor ab, die Schlüssel steckte er ein, sie gehörten in seine Tasche, und dort würden sie auch bleiben, das nahm er sich vor. Der Wind hatte gedreht, er blies jetzt nicht mehr vom Langjökull her, vom Haus weg, sondern er trieb Jensen auf das Haus
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