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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Bettfedern kam hinzu, etwas Metallenes schabte über den Boden. Noch war alles konfus, ungeordnet, als bestünde die Ouvertüre aus dem Stimmen der Instrumente. Doch schon bald war ein gemeinsamer Rhythmus herauszuhören, in den alle Geräusche sich fügten, und es entstand die uralte Melodie.
    »Ich bin schon daran gewöhnt«, sagte Van Gaever.
    »Haben Sie sich das Seminar so vorgestellt?«, fragte Jensen. »Fühlen Sie sich nicht auch hintergangen?« Es war die vorsichtige Annäherung an einen möglichen Verbündeten.
    »Ich habe mir gar nichts vorgestellt«, sagte Van Gaever. »Außerdem ist es ja der erste Tag. Ich möchte mich noch auf keine Meinung festlegen.«
    »Können Sie sich denn vorstellen, drei Wochen in dieser Bruchbude zu verbringen und verdorbene Tomatensuppe zu essen?«
    »Mir täte es gut«, sagte Van Gaever. Er tätschelte seinen Bauch, der dadurch in Bewegung geriet.
    »Sie sind aber nicht hierhergekommen, um abzunehmen. Sie wollten, wie ich, über Physik sprechen. Nun stellt sich heraus, dass De Reuse uns davor bewahren will, über der Physik die Welt zu vergessen. Diese Gefahr«, sagte Jensen, es drohte ihm zum Vortrag zu geraten, »besteht natürlich. Wenn man sich zu sehr mit Atomen beschäftigt, verliert man den Blick für die Phasenübergänge, verstehen Sie? Ein Mensch ist zwar keineswegs mehr als die Summe der Atome, aus denen er besteht, aber die Summe seiner Atome ist etwas fundamental anderes als ein einzelnes Atom. Ich glaube, dass De Reuse uns gewissermaßen von der Physik kurieren will, eine löbliche Absicht. Aber er hätte uns zuvor darüber informieren müssen, finden Sie nicht auch?«
    Die über dem Küchentisch am bloßen Draht hängende Glühbirne geriet in Schwingungen. De Reuses Stimme war durch die Decke zu hören, atemlos stieß er jedes Wort einzeln aus: »Du widerst mich an.«
    Van Gaever lächelte verlegen, sein Gesicht glühte.
    »Dicke Luft«, sagte er. Er schwitzte unter seinem dichten roten Haar, er hatte seine Jacke noch immer nicht abgelegt. »Es gibt allerlei Leute. Von mir aus kann jeder machen, was er will.«
    »Ja«, sagte Jensen. »Aber ich möchte dabei nicht zuhören müssen. Seine Einführung in die praktische, oder wie er sich ausdrückt, die gelebte Physik geht mir zu weit. Das ist sein Problem, nicht meines.«
    Das Haus beruhigte sich. Einen Moment lang war es vollkommen still. Dann platzte der Wind wieder in die Küche, die am Fenster lehnende Bratpfanne warf er mühelos um. Jensen stand auf, er drückte das Fenster zu, diesmal rastete der Hebel ein. Hinter der Spiegelung seines Gesichts im Fensterglas glaubte er etwas zu sehen. Angestrengt blickte er in die Dunkelheit. Er hätte schwören können, dass sich draußen etwas bewegt hatte.
    »Wir sollten jetzt schlafen gehen«, sagte Van Gaever. »Und morgen sieht dann alles anders aus. Das ist immer so.« Er stand auf und stellte seinen Suppenteller in den Spültrog. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich das morgen abwaschen. Ohne Spülmittel wird das ja nichts. Und ich habe keines gefunden. Aber morgen, Sie werden sehen, haben wir hier Spülmittel. Der Hausherr wird schon wissen, wo es ist.«
    »Ich werde morgen abreisen«, sagte Jensen.
    Die Stufen der Treppe knarrten, jemand kam herunter. Er hoffte, dass es De Reuse war; er hätte ihm seine Absicht gern gleich jetzt mitgeteilt, solange der Entschluss noch frisch war.
    »Sie können sich mir gern anschließen, wenn Sie möchten.«
    »Das wäre unhöflich.« Van Gaever trat nahe an Jensen heran, um nicht laut sprechen zu müssen. »Verstehen Sie, ich bin ein kleiner Berufsschullehrer. Für mich bedeutet das hier etwas. Es kommt nicht alle Tage vor, dass jemand wie ich von einem Dozenten der Universität von Antwerpen zu einem Seminar eingeladen wird. Es ist mir egal, dass es hier kalt ist und ich saure Suppe essen muss. Für mich zählt nur, dass ich überhaupt hier …«
    Van Gaever verstummte, denn durchs unbeleuchtete Wohnzimmer kam jemand auf sie zu, über knirschende Dielen, ein Schatten, dem ein Duft vorauseilte. Und nochbevor sie ins Licht der Küche trat, erkannten sie, dass Ilunga Likasi nackt war.
    »Gute Nacht«, sagte Van Gaever mit flacher Stimme. Er wandte seinen Blick von Ilunga Likasi ab, die unter der Tür stehen blieb, zweifellos, um Van Gaever in noch größere Verlegenheit zu stürzen. Mit angewinkelten Armen, den Rücken ihr zugewandt, drückte er sich an ihr vorbei, als könne jede Berührung nur tödlich enden.
    Jensen

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