Der Assistent der Sterne
gefülltes Zahnputzglas für die Asche. Ihre schönen Augen belauerten ihn. Während sie sich eine Zigarette anzündete, füllte er die beiden Gläser. Seit Langem hatte er nicht mehr so früh am Tag getrunken. Er würde es morgen bereuen; es spielte also keine Rolle, wenn er noch eine Sünde hinzufügte. Er bat sie um eine Zigarette. Sie hielt ihm die Packung hin und er griff sich eine heraus. Als sie ihm Feuer gab, geriet er in den innersten Duftkreis ihres Parfüms. Es wirkte auf ihn jetzt auch, wenn er sie sah. Sie fragte ihn, ob er Deutscher sei. Er spreche mit deutschem Akzent. Was ihn nach Belgien verschlagen habe? Er lehnte sich im Sessel zurück; er hatte eine Zigarette in der Hand, es kam ihm unwirklich vor. Ihm war schwindlig, wie früher, bei der ersten heimlichen Zigarette unter der Eiche im Garten seiner Großeltern. Er erzählte ihr, dass er in Konstanz aufgewachsen sei, Polizeischule, Beförderung zum Kriminalbeamten, Taucherausbildung, sogar das erwähnte er. Er rauchte und trank und schwärmtevon den Herbstnebeln, die den Bodensee in ein ozeanisches Gewässer verwandelten, in Meersburg könne man sehr gut essen, und jetzt erzähl ihr von den Bodenseefischen, die du persönlich kennst, dachte er, von Franz, dem Hecht und Rudolf, der Trüsche. Zu reden war die einzige Möglichkeit, die Distanz zu wahren, das Zimmer war klein, das Bett groß, die Champagnerflasche war leck, sie war plötzlich leer, hatten sie das wirklich alles schon getrunken? Ilunga Likasi holte aus der Minibar die kleinen Fläschchen, Wodka, Whiskey, Cognac. Was für ein Sakrileg! Um vier Uhr Wodka! Er konnte sich wirklich nicht vorwerfen, dass er die Regel halbherzig brach. Schweigend, hastig tranken sie die Fläschchen leer, sie wollten gerüstet sein für das Unausweichliche. Jensen wusste es: Es war unausweichlich, und es war besser, es unter Betäubung zu erleben.
Sie stand auf und setzte sich auf sein Bett. Sie hob den Hörer ab und schaute Jensen an, ihre Augen funkelten. Sie wickelte sich die Kordel des Telefons um ihren Finger. Nachdem sie beim Zimmerservice eine zweite Flasche Champagner bestellt hatte, blieb sie auf seinem Bett sitzen.
Er musste Zeit gewinnen, musste noch betrunkener werden.
Und dann, sagte er unvermittelt, sei er einer Flämin begegnet, vor fünfzehn Jahren. Solange er Margaretes Namen nicht erwähnte, war es legitim, diese kostbare und private Geschichte dazu zu benutzen, das Unausweichliche hinauszuzögern. In diese Flämin, sagte er, habe er sich verliebt, ihretwegen sei er nach Brügge gezogen. Er merkte, dass er sich in die Falle geredet hatte. Es ging hier nicht weiter, er hätte sonst Margaretes Tod erwähnen müssen, das kam nicht in Frage.
Sie wischte sich Asche von ihrem Pullover, die Aschefiel auf ihr Knie, sie strich darüber, über das schimmernde Knie, und nun schwebte ein Ascheflocken auf die Spitze ihrer schwarzen, schmalen Schuhe; es war, als würde die Asche ihm ihren Körper anpreisen. Sie sagte, sie sei betrunken, und sein Gerede langweile sie.
»Reden wir über Jan«, sagte sie. »Wussten Sie, was er vorhatte? Dass er mit mir auf den Gletscher wollte?«
Ihre Frage überraschte ihn, es war eine plötzliche Änderung der Tonart, darauf musste er sich zuerst einstellen.
»Ja«, sagte er. »Er hat es mir erzählt. Ja.«
»Mir nicht.«
»Ja. Ich weiß. Er wollte Sie damit überraschen.«
Sie lachte schrill.
»O ja, das wollte er bestimmt. Mich überraschen. Ich habe zufällig den Koffer gefunden, mit all diesen Dingen drin. Eispickel, Seile. Und das Navigationsgerät. Haben Sie sich nie gefragt, warum er ausgerechnet jetzt im Winter auf diesen Gletscher wollte? Mit mir, ganz allein? Ich habe mich erkundigt. Im Frühling und Sommer ist auf dem Langjökull zu viel los. Viele Touristen. Viel Betrieb. Viele Zeugen.«
Das Gespräch behagte Jensen nicht. Er wollte nur trinken, rauchen und es geschehen lassen, falls es geschah. Weil es unausweichlich war, oder etwa nicht? Hatte er es sich vielleicht nur eingebildet? Auch gut. Er war offen für alles.
Sie schaute ihn an. Ihre Finger lagen auf ihrem Knie, rot lackierte Nägel auf schwarzen Strümpfen, die glänzenden, zierlichen Schuhe; sie setzte sich aus reizenden Einzelteilen zusammen. Und er hatte nicht vor, das Ganze zu sehen, nur diese schimmernden, lockenden, weichen Komponenten.
»Zeugen wofür?«, fragte er, er konnte sich noch an ihren letzten Satz erinnern. »Glauben Sie, dass er Ihnen etwasantun wollte?« Sehr gut, dachte
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