Der Assistent der Sterne
alles in Ordnung?«
»Ja. Alles in Ordnung. Und bei dir?«
»Ich komme am Mittwoch zurück. Am Mittwoch. Hast du das gehört?«
»Ja. Jetzt ist es besser. Aber du wolltest doch drei Wochen bleiben?«
»Das war nicht möglich. Ich musste weg. Ich werde es dir erklären, wenn ich wieder zu Hause bin. Am Mittwoch. Können wir uns am Mittwoch sehen? Am Abend?«
»Ich weiß nicht. Ja. Vielleicht.«
»Annick«, sagte er. »Was ist los? Hat der Arzt etwas gesagt? Ist alles gut gegangen bei dem Test?«
»Ja. Aber das Resultat … das dauert noch ein paar Tage. Dann werde ich es wissen.«
»Wir. Wir werden es wissen.«
»Ich weiß nur nicht, ob ich am Mittwoch Zeit habe. Einer Freundin von mir geht es nicht gut.«
Eine Freundin? Sie hatte ihm doch selbst einmal erzählt, dass sie in Brügge niemanden mehr kannte. Sie hatte die Stadt am Tag ihrer Volljährigkeit verlassen und bis vor Kurzem an Orten mit klingenderen Namen gelebt, zuletzt mit John in Shanghai.
»Du hast eine Freundin?«, sagte er. »Das wusste ich nicht.«
»Du kennst sie nicht. Sie heißt Trees.«
Die Verbindung war jetzt glasklar, so als habe eine höhere Macht entschieden, dass er jedes Wort deutlich hören solle.
»Trees. Nein, ich kenne sie nicht. Du hast mir nie von ihr erzählt. Ist sie eine Schulfreundin von dir?«
»Nein. Es ist meine Haushälterin.«
Auch das war ihm neu.
»Seit wann hast du eine Haushälterin?«
»Seit ich wieder in Brügge bin.«
Das hätte er sich doch denken können. In ihrem Haus am Kortewinkel herrschte stets eine ungemütliche Ordnung, die sie unmöglich selbst aufrechterhalten konnte. Und nun war diese Haushälterin ihr zur Freundin geworden, hinter seinem Rücken, so empfand er es. Es war ihm eine Konkurrenz erwachsen: Verbrachte O’Hara den Mittwochabend mit der Haushälterin oder mit ihm?
»Ich habe mich immer gefragt, wie du das schaffst«, sagte er so munter wie möglich. Er war entschlossen, diesen Mittwochabend zu gewinnen.
»Was?«
»Dein Haus in Ordnung zu halten.«
»Dann hast du mich überschätzt.«
»Und diese Haushälterin … du sagst, es geht ihr nicht gut?«
Sie schwieg.
Dann sagte sie: »Nimm es mir nicht übel. Aber ich möchte darüber nicht mit dir sprechen.«
Er nahm es ihr natürlich übel.
»Willst du nur mit mir nicht darüber sprechen oder ganz allgemein mit niemandem?«
»Mit dir nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil du es nicht verstehen würdest.«
»Woher willst du das wissen?«
»Das ist kindisch, Jensen. Ich will nicht darüber sprechen, und ich will das auch nicht weiter begründen.«
»Aber es ist etwas, das dir Sorgen macht. Ich höre es doch. Du klingst bedrückt.«
»Ja, ich mache mir Sorgen. Um Trees. Und deshalb …«
»Was?«
»Du rufst im falschen Moment an. Ich muss jetzt Schluss machen. Das Taxi wartet.«
Ohne ein weiteres Wort legte sie auf.
SEMPER SINE AUXILIO.
War das überhaupt korrektes Latein? Und galt es nicht vielleicht nur für ihn? Seine Hilfe war nicht erwünscht, die von Trees, dachte er, hingegen schon. Sie hat eine Freundin, dachte er, sie steigt ins Taxi und fährt zu ihr, und was den Mittwochabend betrifft, so ist überhaupt noch nichts entschieden, und Eifersucht darf maximal zehn Sekunden dauern, danach beginnt sie zu stinken.
Draußen senkte die Sonne sich über die Dächer. Jensen stand vom Bett auf und zog die Tagesvorhänge zu.
Man konnte ein Kind auch mithilfe einer Haushälterin aufziehen.
Er setzte sich auf den Sessel neben dem Fenster.
Vielleicht hatte sie das ja vor. Er hielt es nicht für ausgeschlossen.
Sie wollte ihn nicht nötig haben müssen.
Ein Gefühl der Vergeblichkeit durchströmte ihn; wie ein aufs Herz zielendes Gift sammelte es sich unter seinem Brustbein und brannte. Er starrte in die Dunkelheit, kleine weiße Punkte tanzten vor seinen Augen.
Sie hatte einfach aufgelegt.
Das ist doch eine Lappalie, dachte er.
Er kam darüber nicht hinweg.
Es war eine Lappalie, natürlich. Aber sie war Ausdruck einer unausgesprochenen Wahrheit.
Sie liebte ihn nicht. Sie liebte John. Das machte sie anfällig für Freundinnen, die sie ihm, Jensen, vorzog.
Und er? Liebte er sie?
Er dachte an den Nebeltrinker, einen Käfer, der in der Wüste Namib lebte. Wenn morgens die Nebel vom Meer her über die Sanddünen zogen, streckte der Nebeltrinker seine Hinterbeine in die Höhe. Der Nebel strich über die Hinterbeine, mit der Zeit kondensierten daran zwei Tröpfchen. Davon lebte der Nebeltrinker, von zwei winzigen
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