Der Assistent der Sterne
putzte.
»Das dachte ich mir«, sagte Stassen. »Deshalb habe ich dich auch sofort angerufen. Hannes? Hörst du mir zu?«
Jensen wandte seinen Blick von der Krähe ab.
»Ja.«
»Wir müssen die Sache Schritt für Schritt überdenken.« Stassen klappte den Kragen seines Mantels hoch, der Wind trieb einen Glockenschlag der Turmuhr davon. »Ein Uhr«, sagte Stassen. »Ich habe nicht mehr viel Zeit. Also. Für die Antwerper sieht die Sache so aus: Ein Wagen wird gefunden. Die Frau, der der Wagen gehört, ist verschwunden. In ihrer Handtasche findet man diesen Drohbrief. Er richtet sich an einen Mann. Es finden sich darauf Fingerabdrücke, und zwar von zwei Personen. Ihre Fingerabdrücke und die von wem? Das will man jetzt wissen. Und vor allem will man wissen, wer hinter der Telefonnummer steckt.«
»Das ist mir klar«, sagte Jensen. Er musste dem Drang widerstehen, sich einfach hier auf den Boden zu setzen und die Krähe zu betrachten, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. In einer grazilen Bewegung hob sie die Schwanzfedern und platzierte die Reste ihrer letzten Mahlzeit auf dem Grabstein.
»Du steckst in der Scheiße«, sagte Stassen. »Hast du sie umgebracht?«
»Nein.«
»So dumm wärst du nicht gewesen. Du hättest ihr den Zettel nicht zurückgegeben. Richtig?«
»Ja.«
»Und jetzt? Wie holen wir dich da raus?«
»Annick ist schwanger. Wir bekommen ein Kind.«
Stassen nickte, er strich sich die störrische Locke aus der Stirn.
»Gratuliere«, sagte er. »Das ist schön. Das freut mich für dich. Und was für eine Geschichte soll ich den Antwerpern auftischen? Ich hoffe, du hast eine gute Idee. Mir fällt nämlich nichts ein, jedenfalls nichts, das mich nicht in Teufels Küche bringen würde.«
»Die Nummer auf dem Zettel. Du sagtest, es sei Annicks Festnetznummer.«
»So ist es.«
»Sie benutzt ihr Zimmertelefon nie. Nur ihr Handy. Es ist für sie einfacher. Sag denen in Antwerpen die Wahrheit. Dass es die Nummer einer Frau namens Annick O’Hara ist. Einer blinden Frau, die vor einer Woche nach Shanghai abgereist ist. Du hast versucht, sie zu erreichen, aber es war unmöglich.«
Stassen schüttelte den Kopf.
»Hast du nichts Besseres? Eine Blinde, die nach Shanghai fährt? Das klingt unglaubwürdig.«
»Sie ist nach Shanghai gefahren. Vor ein paar Wochen. Allein. Es ist nicht unglaubwürdig, nicht, wenn man Blinden etwas zutraut. Außerdem haben die Antwerper keinen Grund, dir nicht zu glauben.«
»Und wenn einer von denen ganz sichergehen will? Wenn er deine Freundin anruft, einfach so, aufs Geratewohl? Das kann mich Kopf und Kragen kosten.«
»Ich werde dafür sorgen, dass ihr Zimmertelefon ausgesteckt ist.«
»Heilige Scheiße!«, sagte Stassen. »Ich hoffe, du weißt, auf was ich mich da einlasse.«
Ja, dachte Jensen. Warum ging Stassen dieses Risiko überhaupt ein? Aus Freundschaft? Aber war ihre Freundschaft nicht eine Legende, in der sie es sich beide gemütlich gemacht hatten? Während Jensens Dienstzeit hatten sie abends ab und zu ein Bier miteinander getrunken, um über die Kollegen zu stänkern, bei denen sie beide eher unbeliebt gewesen waren. Zwei faule Äpfel teilen sich den Wurm, war das nicht ein flämisches Sprichwort?
»Gib mir drei Tage Zeit«, sagte Jensen.
»Drei Tage? Wofür?«
»Erzähl ihnen die Geschichte mit Shanghai. Sie werden dir glauben. Es ist für mich sehr wichtig, Frans, dass Annick nichts davon erfährt. Es war nur eine Nacht, wir waren beide betrunken, Herrgott noch mal. Diese Frau, Ilunga Likasi, sie bedeutet mir nichts und ich ihr auch nicht. Dieser Zettel, die Erpressung, dabei geht es gar nicht um mich. Sie will nicht mit mir schlafen. Sie will Annick demütigen, weil Annick mit ihren Adoptiveltern befreundet war. Um die geht es, um ihre Adoptiveltern, darauf zielt diese Erpressung ab. Ihre Adoptiveltern haben ihr verheimlicht … zum Teufel!«, sagte Jensen. »Das geht mich doch alles nichts an!«
Stassen steckte sich ein Streichholz zwischen die Lippen, er kaute darauf herum, dann spuckte er es aus und sagte: »Außer, dass die Fingerabdrücke auf dem Zettel dich zum Hauptverdächtigen machen.« »Ja. Großartig!« Jensen schlug mit der Faust gegen die Friedhofsmauer, die Bewegung scheuchte die Krähe auf, sie flog aufs Dach des Friedhofswärterhäuschens. »Aber noch wissen sie nicht, dass es meine Fingerabdrücke sind. Halt sie einfach drei Tage lang hin, damit die Telefonnummer aus dem Spiel ist.«
Trees Lachaert, dachte
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