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Der Assistent der Sterne

Der Assistent der Sterne

Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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haben Sie recht: Ich habe die Waffe. Und deshalb bin ich in der glücklichen Lage, dieses Gespräch beenden zu können, wann immer es mir passt. Und es passt mir gerade jetzt. Wenn ich oben bin, werfe ich Ihnen die Taschenlampe und die Waffe runter. Sie bleiben so lange hier.«
    »Damit bin ich einverstanden«, sagte De Reuse eifrig. »Ja. Ich bin einverstanden.«
    »Nur eine Frage noch, De Reuse. Warum wollten Sie sie umbringen?«

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    24
    D e Reuse hatte ihm die Antwort verweigert.
    Ich rufe Sie an, wenn ich in Sicherheit bin, hatte er gesagt, Ihre Neugier ist mein Pfand.
    Jensen hatte De Reuse im Unterschlupf zurückgelassen, allein war er durch den Stollen zum Schacht gegangen, die Leiter hatte geknarrt, und oben hatte ihn die Kälte der Frostnacht erwartet. Zwischen den Ästen der Bäume hatten die Sterne gesteckt. Wie versprochen hatte Jensen die Taschenlampe und die entladene Pistole in den Schacht hinuntergeworfen. In vollkommener Dunkelheit war er zu seinem Wagen gelaufen. Da er die Tür einen Spalt offen gelassen hatte, war es im Wagen umso kälter gewesen.
    Und jetzt?
    Jetzt fährst du nach Antwerpen, hatte er gedacht, zu Lulambo.
    Er war auf dem Feldweg nach Landsdijk gefahren und dann den Schildern nach zur Autobahn. Er hatte sich eingereiht in die Wagenkolonne, die nur langsam vorangekommen war, denn auf dem Glatteis war ein Lieferwagen umgestürzt; Blaulichter hatten die Unfallstelle im Sekundentakt illuminiert.
    Und sie taten es noch immer.
    Jensen steckte fest. Beide Fahrbahnen waren gesperrt; zwei Polizisten achteten darauf, dass niemand auf der Pannenspur das Hindernis umging. Jensen rieb sich die Hände warm; den Schmerz am Hals ignorierte er, es war nur ein heißes Pochen. Falls Ilunga Likasi nicht mehr lebte, würde dieses Pochen noch eine Weile an sie erinnern.
    Und De Reuse hatte recht. Eine Entführung war unwahrscheinlich. Falls sie tot war, konnte man jetzt zwei Tatverdächtige streichen. Tatverdächtige, dieses Wort hatte er schon lange nicht mehr benutzt. Mordfall, Verhör, Spur, Tatwaffe, Tatmotiv, diese Wörter und alles, was mit ihnen zusammenhing, langweilten ihn. Er entwickelte plötzlich sogar eine Aversion dagegen. In letzter Zeit hatte er manchmal daran gezweifelt, ob es richtig gewesen war, den Dienst zu quittieren. Aber jetzt, da diese staubtrockenen Begriffe sich ihm wieder aufdrängten und ihn an das Knacken der Bürosessel im Revier erinnerten, an die der Bürokratie geopferten Nächte, beglückwünschte er sich zu seinem Entschluss. Er empfand es als Zumutung, dass der Beruf, den er hinter sich gelassen hatte, sich durch die Hintertür jetzt wieder in sein Leben schlich und sich ihm auf die Schultern setzte und ihm diese alten Wörter ins Ohr raunte. Er brauchte neue Wörter. Ihm fiel nur kein Synonym für Tatverdächtige ein. Er entschied sich für Dunkelmänner, zwei Dunkelmänner konnten gestrichen werden.
    De Reuse und ich, dachte er.
    De Reuse kam als Mörder, als Malhomme, dachte Jensen, nenn es Malhomme, nicht mehr in Frage, weil er ja überzeugt war, dass Jensen Ilunga getötet hatte, als sein stiller Komplize. Wenn aber er und De Reuse aus dem Kreis der Dunkelmänner ausschieden, blieb nur noch Lulambo übrig. Für Verstreken mochte das anders aussehen. Für ihn stand De Reuse nach wie vor im Zentrum seiner Überlegungen, ein Zentrum umgeben von einem Schatten, dem möglichen Komplizen, der in De Reuses Auftrag gehandelt hatte. Verstreken irrte sich, ebenso wie De Reuse: Es gab keinen Komplizen.
    Jedenfalls bist es nicht du, dachte Jensen. Du bist nur jemand, der seiner auf späte Geständnisse allergischen Freundin die Wahrheit verschweigen muss. Sie hatte mit Trees,ihrer besten Freundin, gebrochen, kompromisslos, von einem Moment auf den anderen, zu Recht natürlich. Aber es bedeutete, dass er sich keine Hoffnungen machen durfte. Sie würde auch mit ihm brechen, wenn es ihm nicht gelang, die Lüge am Leben zu erhalten. Und deshalb, dachte er, befindest du dich jetzt in einem Zustand erhöhter Energie.
    Ein Abschleppwagen fuhr auf dem Pannenstreifen vorbei. Jensen hatte keine Zeit, und dennoch kam er nicht vorwärts. Der Abschleppwagen, das würde eine Weile dauern, eine halbe Stunde mindestens. Jensen versuchte, die Zeit, die er nicht nutzen konnte, als Muße zu begreifen. Muße, um beispielsweise darüber nachzudenken, warum alle Dinge im Universum stets den Zustand niedrigster Energie anstrebten. Er erlebte es jetzt am eigenen Leib, er verstand es von

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