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Der Assistent der Sterne

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Titel: Der Assistent der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Jensen. Aus Dankbarkeit und aus Mitleid mit Ihnen. Aber das ist mir jetzt nicht mehr möglich. Sie haben mich angegriffen, Jensen. Sie haben mir den Ellbogen in den Mund gerammt. War das alles? Nein. Das kommt noch hinzu: Sie haben mich mit der Waffe bedroht. Das war nicht sehr angenehm für mich. Wenn man bedenkt, dass Sie erst gestern jemanden umgebracht haben … Ich musste befürchten, dass es Ihnen zur Gewohnheit geworden ist. Sie werden verstehen, dass ich jetzt Prioritäten setzen muss. In erster Linie muss ich jetzt mich schützen. Vor Ihnen. Solange Sie frei herumlaufen, bin ich in Gefahr. Ihr Verhalten vorhin hat mir das klar vor Augen geführt. Ich habe also beschlossen, mich in die Obhut Ihres Kollegen zu begeben, Sie zwingen mich dazu. Ich werde ihm vorbehaltlos alles, was ich über Ihre Beziehung zu Ilunga weiß, in die Tasten diktieren. Und ich werde ihm auch nicht verschweigen, dass ich selbst vorhatte, Ilunga zu töten, dass ich es aber natürlich nie getan hätte, es war nur ein dunkler Wunsch, den ich jetzt bereue. Das wird meine …«
    De Reuses Worte wurden unverständlich, eine Sirene übertönte sie. Jensen hörte sie zunächst nur im Handy, der Sirenenklang schien lediglich auf De Reuses Seite der Verbindung zu existieren. Dann aber arbeitete sich der Klang zu Jensen vor; auf De Reuses Seite wurde er schwächer, auf seiner jedoch zunehmend lauter. Jensen hörte das spitze Jaulen bereits im eigenen Handy, und als der Polizeiwagen auf der Standspur an ihm vorbei zur Unfallstelle fuhr, konnte Jensen sogar die Entfernung zwischen ihm und De Reuse abschätzen: Keine fünfhundert Meter hinter ihm näherte sich De Reuse in seinem Jaguar der stehenden Kolonne.
    Ich hätte ihn einsperren sollen, dachte Jensen, in seinem Schiff. Nur für ein paar Stunden. Es wäre leicht gewesen: Falltür zu, und sie dann mit dem Feldkreuz beschweren. Das hätte mir Zeit verschafft, dachte er. Aber die Vergangenheit ließ sich nicht korrigieren, und die nahe Zukunft gehörte De Reuse. Sobald der Lieferwagen weggeräumt war, würde De Reuse Jensens Vorsprung durch einen leichten Druck aufs Gaspedal seines Herzfresserwagens wettmachen.
    Er wird an mir vorbeiziehen, dachte Jensen. Er wird vor mir in Antwerpen sein, und dann wird Verstreken meine Fingerabdrücke anfordern und sie mit denen auf dem Zettel vergleichen, und die roten Lichter werden aufleuchten.
    Jensen sah Verstreken vor sich, einen kräftigen, vierkantigen Mann, der sich und die Welt durch Pedanterie darüber hinwegzutäuschen versuchte, dass sein Beruf ihn langweilte. Er sah Verstreken den Namen Jensen auf ein Blatt Papier schreiben, dahinter zwei Ausrufungszeichen. Ein ehemaliger Kollege, verstrickt in eine solche Tat, das wird Verstreken anwidern, dachte Jensen. Verstreken würde ihn auf sein Büro zitieren, und dann, dachte Jensen, hast du es mit einem Kollegen zu tun, der persönlich von dir enttäuscht ist und in dir einen Verräter an der gemeinsamen Sache sieht. Verstreken würde mit dem Finger auf den Tisch klopfen: Wo warst du in der Nacht von Freitag auf Samstag? Und diese Frau, diese Annick O’Hara, ist das deine Freundin? Und wo genau in Shanghai hält sie sich auf, in welchem Hotel, ich finde das sowieso heraus, das weißt du doch.
    »Jensen?«
    »Ja.«
    »Haben Sie mir zugehört?«
    »Nein.« Jensen drückte auf die Hupe. Warum zum Teufel ging es da vorn nicht vorwärts! Er musste mit Lulambo sprechen, Lulambo war sein einziger Trumpf. Lulambo war das Scharnier, wenn nicht gar der Schlüssel, aber nur du, dachte Jensen, weißt das, Verstreken weiß es nicht. Lulambo ist dein Vorsprung, dachte er.
    »Das ist verständlich«, sagte De Reuse. »Sie hören mir nicht zu, weil Sie damit beschäftigt sind, Pläne zu entwerfen. Sie müssen das Land verlassen. Aber wie? Mit dem Flugzeug? Ist das nicht zu riskant? Mit dem Auto? Zu Fuß, über die grüne Grenze? Hier wird Ihnen Ihre Erfahrung zugutekommen, davon bin ich überzeugt. Die Katze kennt die Schlupflöcher der Maus besser als die Maus selbst. Ich würde Sie aber ungern ziehen lassen, ohne Ihnen zuvor klargemacht zu haben, worin der Unterschied zwischen Ihnen und mir besteht. Ich wiederhole auch gern noch einmal meine ersten paar Sätze, falls Sie jetzt bereit sind, mir zuzuhören.«
    »Wie Sie wollen«, sagte Jensen. Er kam hier ohnehin nicht vom Fleck.
    »Ich werde Ihrem Kollegen also zu Protokoll geben, dass ich vorhatte, Ilunga zu töten. Ich kann mir diese Offenheit leisten, Jensen. Denn

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