Der Assistent der Sterne
Tage gewartet, Jensen. Ein paar lausige Tage. Dann hätte ich es für Sie getan. Das muss unerträglich sein. Die Mühen, das Risiko, der Ekel, alles umsonst. Und falls man Sie verhaftet, werden Sie nur im Schlaf für ein paar Stunden vergessen können, dass ich neben Ihnen in der Zelle sitzen müsste, wenn es auf dieser Welt auch nur einen Funken Gerechtigkeit gäbe. Aber Sie sind allein, nur Sie starren durch die Gitterstäbe. Obwohl ich doch zweifellos genauso schuldig bin wie Sie. Aus ethischer Sicht ist es überhaupt nicht zu verstehen, weshalb die Absicht, jemanden zu töten, nicht ebenso hart bestraft wird wie die Umsetzung der Absicht in die Tat. Sehr zu recht werden Sie während Ihrer Arbeit in der Gefängnisküche bei jedem stumpfsinnigen Handgriff sich bewusst sein, dass Sie auch meine Strafe verbüßen. Aus diesem Grund werden Sie jetzt den Wunsch verspüren, mir mit dem Spaten den Schädel zu spalten. Ich nehme Ihnen diesen Wunsch nicht übel. Aber Sie werden verstehen, dass meine Solidarität mit Ihnen an dieser Stelle endet. Die Pistole ist geladen und entsichert.«
De Reuse zog den Schlitten der Pistole nach hinten.
»Nein. Jetzt erst ist sie geladen«, sagte er.
Jensen lachte, er wusste nicht, weshalb, es war ein leeres Lachen, aber es entspannte ihn. Vielleicht weinte er auch, er war sich gar nicht recht sicher. Es war beides: Er weinte,er lachte. Er kauerte sich auf den Boden, stützte den Kopf in die Hände und hatte sie alle satt: De Reuse, Ilunga Likasi, Lulambo, diesen Ort, dieses Erdloch, was machte er hier! De Reuse sagte etwas, Jensen hörte nicht hin, er hatte nur noch den Wunsch, sich aus den Fängen dieser Leute zu befreien, endlich wieder sein Leben zu leben, die Schatten zu vertreiben, sich aus den Verstrickungen zu lösen, und das alles jetzt, in diesem Augenblick. In einer einzigen Bewegung sprang er auf und warf sich gegen De Reuse, er rammte ihn. Es geschah von innen heraus, ohne Planung; seine Hände, flinke, selbstständige Wesen, gelangten in den Besitz der Pistole, das dauerte nur einen Wimpernschlag. Auch die Taschenlampe ging auf Jensen über. Es war alles so schnell vorbei, dass De Reuse eine Weile brauchte, um sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Auf unsicheren Beinen stand er auf, er spuckte auf den Boden.
»Sie haben mir die Lippe blutig geschlagen.« De Reuse betastete seine Unterlippe. »Das war unnötig.« Seine Stimme hatte sich verändert, sie klang jetzt höher, es erfüllte Jensen mit Genugtuung.
Er hat Angst, dachte er. Er ist überzeugt, dass ich sie getötet habe und dass es mir auf einen Mord mehr oder weniger nicht ankommt.
»Hören Sie«, sagte De Reuse, er hob beschwichtigend die Hände. »Ich habe Ihrem Kollegen nichts verraten. Über Sie und Ilunga. Er weiß nichts davon. Und er wird von mir auch nichts erfahren. Wir sollten in aller Ruhe darüber reden. Ich bin nicht Ihr Richter. Ich bin Ihr Komplize. Das sollten Sie jetzt nicht vergessen. Als Ihr Kollege mir die Fotokopie zeigte, die Kopie des Zettels, den man in Ilungas Handtasche gefunden hat … mir war natürlich klar, an wen die Nachricht gerichtet war. Ruf mich an. Ich will, dass du mich fickst. Ich gebe dir drei Tage Zeit. Das alles verbunden mit einer Drohung. Aber ich habe geschwiegen, Jensen. Ich habe Ihren Namen nicht erwähnt.«
»Sie hatten keinen Grund dazu. Sie konnten nicht wissen, dass ich damit gemeint war.«
»Ilunga war mir treu, Jensen. Sie hat sich zwei Jahre lang völlig auf mich konzentriert. Eine Hyäne bleibt beim Aas, auch wenn es regnet. Das hat sie oft gesagt. Sie behauptete, es sei ein afrikanisches Sprichwort. Ich glaube aber, dass es einfach ihr persönliches Motto war. Wenn man einen Menschen gründlich zerfleischen will, darf man sich nicht ablenken lassen. Von Ihnen hat sie sich ablenken lassen, zum ersten Mal in zwei Jahren. Vielleicht hat sie meine Absichten durchschaut. Sie hat mir angemerkt, was ich vorhatte, das könnte sein. Sie spürte, dass ihr Opfer noch zuckt. Aber das wird Sie jetzt nicht interessieren. Sie richten eine Waffe auf mich, und deshalb möchte ich Ihnen noch einmal versichern, dass Ihr Kollege von mir nichts …«
»Richte ich die Waffe auf Sie?«, fragte Jensen. »Schauen Sie genau hin. Ja oder nein?«
»Nein. Aber …«
»Gut. Ich richte die Waffe nicht auf Sie, und ebenso wenig habe ich Ihrer Freundin etwas angetan. Sie sind nicht mein Komplize, De Reuse. Ich hatte nie die Absicht, Ilunga Likasi umzubringen. Aber in einem
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