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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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das etwas mehr als fünfundzwanzig Jahre zurücklag. Louis faltete den Brief auseinander. Als Überschrift stand in großen Lettern darauf:
    ABSCHIED
    Zweimal unterstrichen. Draußen auf dem Gang waren Schritte zu hören. Sie kamen näher. Maya drehte sich hilflos zur Tür um. Die Schritte stoppten.
    Louis warf sich auf den Boden. » Los! Unters Bett!«
    Schon war er wie ein Reptil darunter verschwunden. Maya folgte ihm. Von ihrem engen Versteck aus sahen sie, wie die Tür geöffnet wurde. Dann erspähten sie weiße Schuhe, Beine in hautfarbenen Perlonstrümpfen, den Saum eines weißen Schwesternkittels. Die Schwester kam ans Bett heran. Offenbar stutzte sie für einen Moment. » Herr Bohm, haben Sie die Schubladen aufgemacht?«
    Natürlich bekam sie keine Antwort. Also redete sie weiter. » Ihr Sohn wird heute leider nicht wie sonst kommen. Er ist verhindert. Sobald er Gelegenheit hat, wird er sich bei Ihnen melden. Ich soll Ihnen herzliche Grüße ausrichten. Er hat mich gebeten, dass ich die Briefe, die in der Schublade vom Nachtschränkchen liegen, ins Kaminfeuer im Gemeinschaftsraum werfe. Er meinte, das sei zu Ihrem Besten.«
    Louis warf Maya einen triumphierenden Blick zu. In der Hand hielt er den karierten Notizzettel. Den Zettel, den er gerettet hatte und von dem er instinktiv wusste, dass er das Geheimnis enthielt, das er und Maya brauchten, um all das zu verstehen, was in der Vergangenheit passiert war. Oder zumindest einen wichtigen Teil davon.
    Die Schwester kramte in der Schublade herum. » Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob ich das einfach so tun darf? Ich meine, es sind Ihre Briefe. Vielleicht sind ein paar schöne Erinnerungen dabei. Aber Ihr Sohn meinte, es sei an der Zeit, sich von all diesen Erinnerungen zu lösen. Also tue ich Ihnen beiden den Gefallen.«
    Die Schwester nahm den Stapel Briefe heraus, schob die Schublade leise wieder zu und verschwand aus dem Zimmer. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, krochen Louis und Maya unter dem Bett hervor, öffneten die Tür nur einen Spaltbreit und schlüpften hinaus.

62 . NIEMAND
    Konrad stand im Flur des Polizeipräsidiums und legte alles, was er dabei hatte, auf den Tisch, hinter dem eine junge Polizistin mit mürrischem Gesicht stand. Sein Portemonnaie. Seine Lederhandschuhe. Seine Armbanduhr. Seinen Gürtel. Seinen Haustürschlüssel. Die Schnürsenkel aus seinen Schuhen, nur für den Fall er wollte sich aufhängen. Die Polizistin nahm alles, ohne ein Wort zu sagen, und legte es in eine Plastikbox, die sie anschließend in einem Schrank einschloss. Dann wurde er von ihr in eine schmale Zelle geführt, die sich neben dem Verhörzimmer befand.
    Ohne ein weiteres Wort fiel hinter Konrad die Tür ins Schloss. Die Pritsche war aus Beton, darauf lagen ein paar zusammengefaltete Decken. Die Toilette bestand aus einem Edelstahlpott ohne Brille. Der Raum war fensterlos. Na dann! Konrad setzte sich auf die Pritsche. Er war ganz ruhig. Er atmete tief ein. Dann wieder aus. Er flüsterte. » Verzeih mir, kleiner Bruder. Verzeih mir, dass ich das Letzte, was wir von dir besaßen, dem Feuer übergeben muss.«
    Um diese Zeit knisterte im Gemeinschaftsraum des Pflegeheims das Kaminfeuer. Die alten Leute saßen drum herum, und die Schwester, der er öfter mal Pralinen als kleines Dankeschön für ihre Fürsorge mitgebracht hatte, würde jetzt all die Briefe, den ganzen Stapel nehmen und ins Feuer werfen. » Sind Sie sich ganz sicher«, hatte sie ihn zweimal am Telefon gefragt, » dass Sie das wirklich wollen?« Damit hatte sie ihn fast zur Umkehr bewegt. Doch er hatte schnell aufgelegt, bevor er es sich anders überlegen konnte. Zum Glück durfte er nur einen Anruf aus dem Präsidium machen. Andere riefen ihren Anwalt an, damit er alles aufklärte. Er ließ die Beweise vernichten, die alles hätten aufklären können.
    Es war schade um den Stapel an romantischen Liebesbriefen, die sich seine Eltern als junge Verliebte geschrieben hatten, schade um all die Postkarten, die sein kleiner Bruder und er seinen Eltern aus den Ferienlagern geschickt hatten. Doch der verzweifelte Abschiedsbrief seines Bruders musste vernichtet werden. Diesen Brief durfte niemand finden. Es war ein Fehler gewesen, ihn nicht sofort nach Geros Selbstmord zu vernichten. Aber sein Vater hatte es damals einfach nicht fertiggebracht. Denn darin war all die Verzweiflung eines zwölfjährigen Jungen enthalten, der nicht anders zu sp rechen gewagt hatte, als für immer zu schweigen.
    Es

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