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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition)
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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aufnehmen. Sieben Jahre war es her, dass ihr Vater und sie vor der Rache der Widerwärtigen geflüchtet waren. Sieben Jahre, in denen sich die Welt weitergedreht hatte. Es war Zeit, das Auf-der-Flucht-sein zu beenden. Zeit, nach Hause zu gehen. Hoch über ihr rauschten die Kiefernwipfel. Ab und zu tropfte es von oben auf den Waldboden oder auf ihren Kopf. Unter ihren Tritten knackten die feinen Äste. Mehr war nicht zu hören. Dies war ihr letzter Tag im Wald. Der letzte Tag ihres einsamen Lebens.
    Maya bückte sich und hob das Rote auf, das sie von Weitem angezogen hatte. Es war eine kleine Plastiktüte mit aufgedrucktem Apothekenzeichen. Sie sah hinein. Darin befanden sich drei Schachteln mit Medikamenten. Das war doch ein Witz! Eilig schüttete sie den Inhalt der Tüte auf dem mit Kiefernnadeln bedeckten Waldboden aus und entzifferte, was auf den Schachteln stand. Ibuhexal 400mg. Bei leichten bis mäßigen Schmerzen und Fieber. Und zweimal Vomex Dragees. Zur Anwendung bei Kindern und Erwachsenen. Bei Übelkeit und Erbrechen. Ihr Vater wäre stolz gewesen, wie flüssig sie las! Darauf hatte er Wert gelegt. Genauso wie auf Wurzelrechnung. Die half nur leider nicht bei einer Wurzelentzündung. Maya lachte bitter auf.
    Die eine Vomex-Packung war fast vollständig geleert. In der anderen Packung lagen noch zwei volle Blister mit pinkfarbenen kleinen Pillen. Aus der Ibuprofen-Packung waren drei Tabletten entnommen worden. Maya steckte sich zwei von den Schmerztabletten in den Mund und schluckte sie trocken hinunter.
    Von außen war die Apothekentüte nass. Die Schachteln selbst waren trocken. Das hieß, allzu lange lag die Tüte hier noch nicht. Aus dem Zug konnte sie nicht geworfen worden sein, dafür lag sie zu weit abseits. Jemand musste sie verloren haben. Mayas Herz klopfte. Mit einem Mal schienen sich ihre Sinne wieder zu melden. Sie sah sich um. Warum lief jemand abseits vom Weg an den Schienen entlang? Warum an dieser Stelle des Waldes? Bis zum Wanderweg oder der Straße waren es einigermaßen lange Fußmärsche.
    Maya drehte sich aus dem Wind. Sie horchte. Sie witterte. Jetzt roch sie etwas. Frische Walderde. Aufgeworfene, frische Walderde. Sie folgte dem zarten Geruch. Jemand, der nicht sieben Jahre seines Lebens im Wald verbracht hatte, hätte diesen feinen Geruch sicher nicht wahrgenommen. Sogar Maya selbst zweifelte, ob sie sich ihn nur einbildete. Aber irgendetwas sagte ihr, dass hier jemand gewesen war und etwas gesucht oder versteckt hatte. In der Erde. Unter der Erde.
    Sie stand auf und schaute den Hang hinunter. Links wanden sich die Bahnschienen zwischen den Kiefern hindurch. Aber der Geruch kam von rechts, wo eine Reihe kleinerer Büsche unter einer mittelgroßen Kiefer stand. Sie ging darauf zu. Sollte sie nicht einfach die Medikamente nehmen und Gott oder wem auch immer für dieses Wunder danken? Warum jetzt suchen? War das nicht leichtsinnig? Doch der Drang, herauszufinden, was los war, trieb sie Schritt für Schritt weiter, bis zu den Büschen. Sie teilte die Zweige mit beiden Armen und entdeckte dahinter eine Stelle, wo jemand im Waldboden offenbar vor Kurzem eine Grube gegraben hatte. Einen Schritt breit und zwei Schritt lang. Eilig mit totem Gestrüpp und Laub bedeckt. Maya ließ sich neben die frisch aufgeworfene Erde auf die Knie sinken. Sie hatte es gewusst! Ihre Instinkte ließen sie nicht im Stich. Hier war etwas vergraben. Das spürte sie ganz deutlich.
    Und es atmete.
    Um herauszufinden, wie tief sie graben musste, um es zu befreien, suchte Maya einen langen, geraden Ast, den sie in die aufgelockerte Erde bohrte. Nach etwa einem halben Meter stieß sie auf einen harten Widerstand. Eilig zog sie den Ast wieder heraus und begann, mit den Händen die Erde wegzuschaufeln. Es war nicht klug, was sie hier tat. Aber sie hatte eine Ahnung, was sie dort unten finden würde. Eine furchtbare Ahnung. Und je tiefer sie grub, umso stärker sickerte die Gewissheit durch, dass sie sich selbst in tödlicher Gefahr befand. Maya hörte es hinter ihr knacken. Waren das Schritte, die durchs Unterholz brachen? Sie fuhr herum. Auf allen vieren, wie ein aufgeschrecktes Tier, hockte sie da und spitzte die Ohren. Sie war vollkommen still. Nicht einmal ihr Herz schien zu schlagen. Nur horchen. Nicht atmen. Nicht bewegen. Schschsch!
    Da hörte sie unter sich ein Klopfen. Etwas schlug gegen das Holz. Ein hohles Klopfen und Kratzen. Als sitze unter ihr jemand in einem Kasten. Und Maya hockte direkt darauf. Direkt
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