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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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noch immer nicht erinnern konnte, etwas damit zu tun? Zumindest das hätten die von der Polizei mal überprüfen können. Stattdessen vergeudeten sie ihre Zeit bei den Untoten.
    Louis füllte heißen Tee in eine Trinkflasche. Dann ging er ins Wohnzimmer, wo seine Mutter mit ihren Bierflaschen vor dem Fernseher hockte. Er trat von hinten an sie heran und gab ihr einen Kuss auf die verfilzten Haare am Hinterkopf.
    Sie hob müde die Hand. » Hast du was von Michelle gehört? Nicht dass ihr was zugestoßen ist. So wie Papa damals.«
    Louis sah erschrocken auf ihr stumpfes Haar. Wie konnte sie ihm jetzt mit seinem Vater kommen, den man Tage nach Isabels Verschwinden erhängt an einem Baum am Wasserfall gefunden hatte? Warum quälte sie ihn damit, wo er doch sowieso schon in Panik war? Verhielt sich so eine liebende Mutter? Für einen Augenblick hatte er das Gefühl, eine Fremde säße da.

33 . MAYA
    Maya verfolgte den Typen in Jeans und Holzfällerhemd, seit er die Straße verlassen hatte und den steilen Berg hinaufgegangen war. Es war der Typ, der sie am frühen Abend auf seinem Rennrad durch die Unterführung gejagt hatte. Sie hatte ihn an seiner Stimme erkannt, die verzweifelt immer wieder einen Namen rief. Michelle. Lautlos folgte Maya ihm durch den nächtlichen Wald. Sie blieb immer ein gutes Stück hinter ihm, um ja nicht von ihm bemerkt zu werden. Sie schätzte ihn kaum älter als sich selbst. Er war schlank und groß und stieg rasch bergauf, wobei er überhaupt nicht auf den Untergrund achtete, sodass er wegrutschte und sich wieder aufrappeln musste. Keuchend kämpfte er sich durchs Unterholz, zog sich an tiefhängenden Zweigen und hervorstehenden Wurzeln empor. Er machte einen solchen Lärm, sie hätte ihn auch ohne das Licht seiner Taschenlampe gefunden, die langsam immer schwächer wurde.
    Dieser Junge war nicht hinter ihr her. Er wusste nicht einmal, dass es sie gab. Er suchte nur das Mädchen, in dessen Klamotten sie steckte. Das tote Mädchen, das oben beim Wasserfall am Baum hing. Nein, dieser Junge war kein Jäger. Er war nur einer, der jemanden verloren hatte. Und so entschlossen, wie er voranging, würde er das Mädchen noch vor Anbruch des Tages entdecken. War er ihr Freund gewesen?
    Bisher hatte der Junge nur einmal Halt gemacht, um sich im Mondschein seine Trinkflasche am Bach mit Wasser zu füllen. Na gut, einmal hatte er auch eine Pinkelpause eingelegt, die Maya ebenfalls zum Pinkeln genutzt hatte. Heiser rief er den Namen des Mädchens in den Wald hinein. Natürlich bekam er keine Antwort. Klar, Maya hätte an ihrer Stelle zurückrufen können: » Du kannst mit dem Geschrei aufhören. Die hört dich sowieso nicht. Die ist längst tot.« Aber das ließ sie mal besser. Es war unklar, wie er darauf reagieren würde. Vermutlich würde er sich auf Maya stürzen und sie umbringen wollen, wo sie doch die Kleidung des Mädchens trug.
    Maya hatte keine Lust, gegen einen aggressiven Typen anzutreten. Sie war noch immer schlapp von der abklingenden Zahnentzündung und für einen Kampf nicht bereit. Hinterher schlug er mit einem Stein nach ihr. Andererseits, wenn er der Freund des Mädchens war, wollte sie ihm den grausigen Anblick ersparen, der ihn erwartete. Sie wusste, wie schlimm es war, einen geliebten Menschen tot aufzufinden. Bis heute war sie das Bild von ihrem Vater nicht losgeworden, wie er zerschmettert im Steinbruch lag. Abgestürzt wegen eines dummen Feuersteins. Mit verdrehten Armen und Beinen auf dem Geröll. Drei Tage und Nächte hatte sie neben ihm ausgeharrt, bis sie es endlich übers Herz gebracht hatte, ihn unter Schutt zu begraben. Sie hatte nicht einsehen wollen, dass er nie wieder mit ihr sprechen, sie nie wieder halten würde. Irgendwann, im Laufe der Nacht, würde sie den Typen vermutlich doch aufhalten.
    » Warte!«
    Jetzt war es passiert. Sie hatte sich verraten.
    Mit einem Ruck drehte er sich zu ihr um und leuchtete ihr mit der Taschenlampe direkt ins Gesicht. » Michelle?«
    » Leider nicht. Ich habe nur ihre Klamotten an.«
    Der Typ stand etwas erhöht am Berg. Geblendet durch die Lampe, konnte sie sein Gesicht nicht erkennen. » Was?« Hilflos versuchte er, einen festen Stand hinzubekommen, was aufgrund des rutschigen Bodens nicht ganz leicht war. » Was… was soll das?«
    Maya stand genau im Lichtkegel seiner Taschenlampe. Jetzt nur nicht die Ruhe verlieren! Wie bekloppt sie war! Langsam kam sie ihm entgegen, wie einem wilden Tier, das sie zähmen wollte. Sie sprach mit

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