Der Atem der Angst (German Edition)
Messer hervor und hielt es mit der Spitze nach oben. » Ich habe keine Adresse. Entweder Sie helfen mir freiwillig oder ich…«
Dr. Bernhard wich einen Schritt zurück, sein Blick wischte hinüber zum Telefon.
Maya sah ihm an, dass er bereit war, dorthin zu stürzen, um den Notruf zu wählen. Also stellte sie sich ihm in den Weg. » Wagen Sie es ja nicht. Ich werde schneller sein und Sie aufschlitzen.«
» Na, na, na. Beruhige dich.« Beschwichtigend hob er die Hände. Jetzt sah er sie ganz ruhig an. Maya war sich sicher: In diesem Augenblick hatte er sie erkannt. Langsam kam er auf sie zu, noch immer die Hände gehoben, zum Zeichen, dass er ihr nichts tun würde. Als er schließlich vor ihr stand, strich er ihr sacht die Kapuze vom Kopf. Dazu meinte er. » Hab keine Angst. Wir kriegen das hin. Wie immer. Und ich verspreche dir, es wird auch dieses Mal nicht wehtun.«
Dann reichte er ihr seine warme Hand, wie damals. » Na, dann wollen wir mal.«
Und sie griff zu.
Es war nicht leicht, die Wurzeln aus dem entzündeten Kiefer zu entfernen. Doch tatsächlich verspürte Maya auch dieses Mal keine Schmerzen. Sie gab sich ganz Dr. Bernhards heilenden Händen hin. Voller Vertrauen, für ein paar Augenblicke in absoluter Sicherheit zu sein. Zum Abschied steckte er ihr noch eine Schachtel mit Antibiotika zu. Er lächelte freundlich. » Pass auf dich auf, Mädchen.«
Sie nickte. » Das werde ich.« Maya verlieh ihrer Stimme einen kalten Klang. » Verraten Sie niemandem, dass ich hier war. Bitte!« Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen.
Bevor sie losweinte oder Dr. Bernard noch etwas sagen konnte, wandte sie sich ab und setzte die Kapuze wieder auf. Sie musste verschwinden. Wer wusste schon, was an diesem Ort als Nächstes geschehen konnte: Würde der Doktor sie am Ende doch verraten? Würde er aus Sorge zur Polizei gehen? Würde er seiner Frau von dieser Begegnung erzählen? Und würden dann die Widerwärtigen davon erfahren?
Dr. Bernhard hielt ihr die Tür nach draußen auf. Gespenster, Hexen und Zombies zogen jaulend und grölend auf der Straße vorbei. Fackeln flackerten. Ketten rasselten. Der Halloweenumzug hatte begonnen. Einem inneren Impuls folgend umarmte Maya ihren alten Zahnarzt. » Danke!«
Dann sprang sie mittenrein in das Getümmel und verschwand zwischen den dunklen Gestalten und wehenden Umhängen. Als wäre sie nie da gewesen.
Drei Straßenecken weiter löste sie sich schon wieder aus der Menge, als sie ein Stück vor sich eine Gruppe von Polizisten und zwei Streifenwagen mit Blaulicht erspähte. Lautlos huschte sie durch eine dunkle Kopfsteingasse, die zwischen den engstehenden Fachwerkhäusern entlangführte. Sobald sie es durch die Unterführung geschafft hatte, war sie raus aus der Gefahrenzone.
Im gelb ausgeleuchteten Tunnel zog Maya die Kapuze wieder tief in die Stirn und vergrub die Hände in den Taschen. Ihr Herz klopfte. Nur noch zweihundert Meter– dann würde sie mit einem Satz im Dunkel des Waldes verschwinden. In ihrem Reich.
» Halt an! Halt sofort an!«
Maya fuhr herum. Ein Typ auf einem Rennrad kam durch den Tunnel direkt auf sie zugerast. Maya drehte sich wieder um und sprintete los. Sie sah, wie der Asphalt unter ihren Füßen floh.
» Halt sofort an!«
Der Typ verfolgte sie. Er kam immer näher. » Hey!«
Sie zog die Knie bis zur Brust, um noch schneller zu sein. Mit einem Mal schien die Unterführung endlos. Sie hörte die dünnen Räder surren. Sie bildete sich sogar ein, den Atem ihres Verfolgers zu spüren. Den Blick starr auf den erleuchteten Ausgang geheftet, die Hände zu Fäusten geballt, rannte sie um ihr Leben. Und doch kam sie kaum vorwärts. Seine Hand berührte ihre Kapuze. Er bekam sie zu fassen. War das einer von den Widerwärtigen? Hatten sie ihr aufgelauert? War sie bereits verloren oder konnte sie noch fliehen? War er allein oder hatte er hinter sich eine ganze Gefolgschaft?
Maya schlug um sich. » Vergiss es!«
Der Typ geriet auf seinem Rad ins Schlingern. Sie riss sich los und stürzte hinaus in die kühle Abendluft und in den schwarzen Wald hinein. Panisch hastete sie durchs Unterholz. Die Zweige schlugen ihr ins Gesicht und hinterließen brennende Streifen auf der Haut. Sie hörte den Widerwärtigen von unten wütend rufen. Er kam die Straße hinauf. » Bleib stehen! Was soll der Scheiß!? Ich tu dir doch nichts!«
» Wer’s glaubt!« Maya preschte weiter, den Hang hinauf, Richtung Höhle. Unter sich hörte sie den Typen immer lauter
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