Der Atem der Angst (German Edition)
näher heran. Maya blieb breitbeinig stehen, die Füße in den Boden gerammt, die Fackel fest umklammert. Sie schien bereit zu sein, sie Louis mit Wucht ins Gesicht zu schlagen, sollte er noch zwei Schritte näher kommen. Ihre Stimme klang mit einem Mal ängstlich. » Bleib stehen.«
Er hob die Hände. » Okay. Ich will dir nichts tun, alles klar?! Ich will nur zu meiner Freundin. Dann haue ich wieder ab.«
» Das kannst du vergessen.« Maya blitzte ihn wütend an.
» Was kann ich vergessen?«
» Dass du wieder nach Hause gehen kannst. Du hast mich gesehen, also kann ich dich nicht wieder zurück in die Stadt lassen. Du bleibst bei mir.«
Louis räusperte sich. Er glaubte kein Wort von dem, was dieses Mädchen sagte. Aber er bemühte sich, nicht vor Überraschung zu grinsen. » Was soll denn das heißen?«, stieß er hervor. » Willst du mich gefangen nehmen?«
» So was in der Art.«
» Das ist doch lächerlich.«
Maya verzog keine Miene. » Keine Sorge, du bleibst nur solange bei mir in der Höhle, bis wir uns ein bisschen näher kennengelernt haben und ich weiß, ob du eine Gefahr für mich bist oder nicht. Denn ich habe nicht vor, so zu enden wie deine Freundin.«
Louis sah an Maya vorbei in den Wald. Jetzt endlich sickerte die kalte Gewissheit ein, dass dieses Mädchen nicht irre war, sondern die Wahrheit sprach. Sie wusste vielleicht sogar mehr als er oder die Polizei. In jedem Fall schien sie im Bilde zu sein über die Geschehnisse in St. Golden. Maya kam nun auch etwas dichter heran, bis sie direkt vor Louis stehen blieb. Sie legte ihre Hand auf sein Herz. Es war ein gutes Herz. Ein warmes Herz. Sie flüsterte sanft. » Komm jetzt. Ich bring dich zu ihr.«
36 . BELLA
Kurz nach Mitternacht hievte sich Bella vom Sofa und klappte das durchgesessene Sitzpolster um. Darunter lag ein Smartphone. Sie nahm es, steckte es sich in die Vordertasche ihres fleckigen Kapuzensweatshirts und schlurfte raus in den dunklen Flur. Dort schlüpfte sie in ihre schnürsenkellosen Turnschuhe, nahm den Hausschlüssel vom Bord und verließ das Haus.
Draußen hing der Nebel zwischen den Fachwerkhäusern, vor den Eingängen standen ausgehöhlte Kürbisse, in die Gesichter geschnitzt worden waren. Auf dem feucht glänzenden Kopfsteinpflaster lagen zentimeterdick orangefarbenes Konfetti und aufgeweichte Luftschlangen. Hier und da klebten platt getretene Bonbons und zerbröckelte Lutscher. Der Umzug war längst an ihrem Haus vorbeigezogen und hatte sich nach dem Tanzgelage auf dem Rathausplatz in alle Himmelsrichtungen verstreut. Früher war sie mit den Kindern und ihrem Mann der Prozession gefolgt. Nun ging sie allein Richtung Billardkneipe, quer über den menschenleeren Festplatz.
Die Stadt war leer. Nur ein paar von den Sägewerkstypen spielten drüben Billard und scherten sich einen feuchten Dreck um Halloween. Für diese Jungs war es ein Tag wie jeder andere. Für Bella war es der traurigste Tag überhaupt. An Halloween, vor sieben Jahren, hatte sie ihre kleine Isabel verloren. Und mit ihr war die hübsche, lebensfrohe Bella verschwunden. Verschollen. Gestorben. Bella gab es nicht mehr. Nur noch ihre Hülle. Eine Hülle, die ab und an ein bisschen Liebe, ein bisschen Sex brauchte.
Sie stieß die Tür zur Billardkneipe auf. Heute war kaum was los. Nur an zwei Tischen spielten die Kerle vom Sägewerk. Der Zigarettenrauch stand kalt im Raum. Sie nickte Easy, dem tätowierten Mädel hinter dem Tresen, zu. Dann schlurfte sie zwischen den Tischen hindurch auf den kräftigsten der Schreiner zu. Er hatte breite Schultern, war mindestens zwei Köpfe größer als sie und trug ein weißes, enges T-Shirt. Seine muskulösen Oberarme waren beinahe so dick wie ihre Oberschenkel. Mit ihm zu schlafen, war nicht gerade eine Freude gewesen. Aber als er sich schwer auf sie gelegt hatte, hatte sie sich zumindest für einen Augenblick geborgen gefühlt. Obwohl sie kaum noch Luft bekommen hatte. Es wäre ihr auch egal gewesen, wenn sie unter ihm erstickt wäre.
Verwundert blickte er sie mit seinen blauen Augen an. » Bella?« Er machte ein paar Schritte vom Billardtisch weg, damit seine Kollegen nicht alles mitbekamen. » Was willst du hier?«
Bella zuckte mit den Schultern. » Weiß nicht.« Mit einer verlegenen Geste strich sie sich die stumpfen Haare aus dem Gesicht. » Dir was bringen.«
» Was?« Er legte seine Hand hinters Ohr. » Sprich mal lauter.«
Bella räusperte sich, wobei sie es nicht schaffte, den Blick höher als zur Höhe
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