Der Atem der Angst (German Edition)
Kinderzimmertür hinter sich zu und blieb für einen Moment im Flur stehen. Da drinnen schlief ihr Winnie-Bär ruhig in seinem Weltraumpyjama in seiner Weltall-Bettwäsche. Noch nie in ihrem Leben hatte sie solch furchtbare Angst ausgestanden. Wie verletzlich man als Mutter doch war. Man hatte etwas einmalig Kostbares zu verlieren, ohne das man nicht fähig war, weiterzuleben. Diese Tatsache war ihr heute zum ersten Mal wirklich bewusst.
Heidi lauschte in die nächtliche Stille hinein. Obwohl sie nichts hörte, spürte sie deutlich Erics Anwesenheit. Heute Nacht war sie nicht mit ihrem Sohn allein. Ihr Mann war zurückgekommen, wenn auch nur für kurze Zeit. Er saß unten im Wohnzimmer auf dem Sofa, um das sich unausgepackte Umzugskartons türmten. Bisher hatte er noch keine Gelegenheit gehabt, ihr Vorwürfe wegen Winnies Verschwinden zu machen, aber seinen Augen war anzusehen gewesen, dass er seinem Ärger bald Luft machen würde. Erst einmal war es für sie beide wichtig gewesen, herauszufinden, wo und mit wem ihr Sohn unterwegs gewesen war. Doch aus Winnie war nichts Brauchbares herauszubekommen gewesen. Er hatte nur gemurmelt: » Jetzt frag doch nicht so! Ich bin müde!«
Auch Eric hatte nichts Näheres erfahren können, als er sich beim Zähneputzen vor seinen verschwiegenen Sohn auf den Badenwannenvorleger gekniet hatte. » He, Sportsfreund! Willst du deinem Papa nicht sagen, wo du warst?«
Heidi ließ die Klinke los und ging auf Strümpfen über den Flurteppich, zur Treppe. Sportsfreund! So war Eric. Hielt sich für den perfekten Vater, weil er solche Floskeln wie » Sportsfreund« drauf hatte. Es verschaffte ihr eine gewisse Genugtuung, dass ihr Exmann ebenfalls keinen Zugang zu Winnie gefunden hatte. Es war eben nicht alles so leicht, wie Eric sich das vorstellte.
Zum ersten Mal seit ihrem Umzug war er mit ins Haus gekommen. Normalerweise nahm er Winnie schon an der Türschwelle in Empfang und verschwand gleich wieder. Sicherlich überraschte es Eric kein Stück, dass noch nichts eingerichtet war und keine Vorhänge vor den Fenstern hingen. Alles hier befand sich im Zwischenstadium. Nur nicht Winnies Zimmer. Das war fertig eingerichtet.
Stufe für Stufe stieg Heidi langsam die Treppe nach unten, und mit jeder Stufe, die sie nahm, wappnete sie sich innerlich mehr gegen das Donnerwetter, das gleich über sie hereinbrechen würde. Sie wusste jetzt schon, was Eric ihr alles vorzuwerfen hatte. Sie würde ihm nicht widersprechen. Im Gegenteil. Sie würde ihm recht geben. Ja, sie war eine unverantwortliche Mutter. Ja, sie liebte ihren Job. Ja, sie hatte einen versuchten Mord an einem kleinen Mädchen aufzuklären. Ja, sie hatte ihren Sohn nicht rechtzeitig von der Schule abgeholt, obwohl da draußen eine Bestie herumlief. Ja, unten im Wohnzimmer klingelte schon wieder ihr Handy.
Vermutlich Henner. Vermutlich eine weitere Horrornachricht, denn noch immer wurde Michelle vermisst. Noch immer wurde nach ihr gesucht. Es war gut, dass Eric hier war. Vermutlich würde sie noch einmal losmüssen, sollte dies der Anruf sein, dass einer von den Suchtrupps Michelles Leiche entdeckt hatte. Denn, dass das Mädchen tot war, daran hatte Heidi inzwischen keinen Zweifel mehr. Zu sehr ähnelten sich Isabels und Leonies Fall.
Heidi nahm die letzte Stufe. In ihrem Magen krampfte sich alles zusammen. Sie versuchte, ihre Mimik ruhig zu halten, um Eric ja nicht zu verraten, wie wirr und hilflos es in ihrem Inneren aussah. Sie würde ihm ihren Sohn nicht überlassen. Niemals. Nur noch diesen einen Fall musste sie lösen. Sie musste herausfinden, wer Leonie hatte töten wollen. Das war sie Winnie schuldig. Sie musste herausfinden, was mit Michelle passiert war. Sie musste wissen, was all das mit der verschwundenen Birgit zu tun hatte. Sie musste wissen, warum sich der 12-jährige Sohn vom Sägewerker kurz nach Birgits Verschwinden erhängt hatte. Und wer der Mörder der kleinen Isabel war. Lebte er noch? War er es, der Leonie entführt hatte? Derjenige, mit dem ihr Sohn jetzt den Nachmittag verbracht hatte? All diese offenen Fragen würde sie klären. Danach würde sie sich um Winnie kümmern. Danach war sie bereit für den Innendienst.
Das Handyklingeln erstarb.
Als Heidi ins Wohnzimmer kam, musste sie unwillkürlich lächeln. Eric war halb liegend auf dem Sofa eingeschlafen. Mit den Armen umklammerte er eins der bunt gemusterten Kissen, die Heidi zu Beginn ihrer Ehe genäht hatte. Für ein gemütliches Heim. Wie friedlich er
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