Der Atem der Angst (German Edition)
schaffte, ihn in Aufruhr zu versetzen. Ein ziemlich platt gedrückter Teddy, der eher aussah wie eine Plüschflunder.
» Guten Morgen, Schlafmütze!«
Das Mädchen kam von draußen durch den Spalt gekrochen, in der Hand hielt sie ein großes, schwammartiges Gebilde. Sie lächelte. » Ich habe uns was zum Frühstück besorgt.«
Sie trug nicht mehr Michelles Kleidung, sondern eine Art Höhlenmenschen-Outfit: Lederlappen als Schuhe und einen seltsamen Fellumhang. Ihre Arme waren nackt, ebenso ihre muskulösen Beine. Mit Sicherheit konnte sie sehr schnell laufen. Vermutlich schneller als jedes andere Mädchen in der Leichtathletikgruppe der Schule. Schon wieder spürte Louis in sich das Adrenalin aufpeitschen. Irgendetwas an diesem Mädchen machte ihn rasend. Etwas an ihr forderte ihn zum Wettstreit heraus. In ihrer Gegenwart befand er sich in ständiger Kampfbereitschaft. Er sah hinunter auf seine Hände, die er instinktiv zu Fäusten geballt hielt.
Sie lächelte. » Entspann dich. Die Kleider deiner Freundin habe ich da drüben hingelegt.«
Tatsächlich! Sie lagen ordentlich zusammengefaltet auf einem Baumstumpf. » Sind leider nicht mehr ganz taufrisch. Tut mir leid. Schätze, sie haben bei deinem Angriff noch mal mächtig was abbekommen.«
Louis hob müde die Hand. » Entschuldige. Hast du Schmerzen? Habe ich dich verletzt?«
» Nicht weiter der Rede wert. Bis auf…« Maya drehte sich um und zog ihre Felljacke nach oben, sodass Louis ihren bloßen, sehnigen Rücken sehen konnte. » Bis auf diesen kleinen Kratzer.«
Er robbte näher heran. Auf ihrem glatten Mädchenrücken prangte eine ziemlich tiefe Schürfwunde. Sie zog ihre Jacke wieder runter. » Für einen Moment dachte ich wirklich, du hättest es geschafft, mir die Lichter auszupusten.« Maya hockte sich neben ihn auf den Fellstapel. » Wie geht es dir? Hast du ein bisschen geschlafen?«
» Jepp.«
Er mochte nicht, wie sie ihn ansah. Mitfühlend und ernst. Er wollte aber nichts fühlen. Nicht hier. Nicht in ihrer Gegenwart. » Wie spät ist es?«
» Der Sonne nach zu urteilen, müsste es gegen zehn sein. Hast du Hunger?«
Was konnte sie ihm denn schon zu essen geben? Dieses schwammartige Gebilde? Das war garantiert giftig! Rohes Fleisch? Käfer? Maden? Würmer? Baumrinde? Auf nichts dergleichen war er scharf. Er schüttelte den Kopf. » Nein. Danke. Ich habe aber in meinem Rucksack noch ein paar Brote. Willst du eins davon abhaben?«
» Gut, dass ich deinen Rucksack aus den Farnen gezogen habe, sonst müssten wir jetzt noch mal hin, um ihn zu holen, bevor die Polizei kommt und die Spuren sichert.« Maya stand auf, holte den Rucksack heran, der neben dem Baumstupf lehnte, und kam wieder zurück. » Schätze, du wärst nicht sonderlich wild drauf.«
» Danke dir.« Louis zog den Reißverschluss auf. » Trotzdem müssen wir die Polizei verständigen. Ich will nicht, dass Michelle da oben…«
» Noch länger hängt?«
» Mein Gott. Musst du so über sie reden?« Louis starrte Maya wütend an. » Hast du keine Gefühle?«
» Kommt drauf an.«
» Worauf?«
Maya zuckte mit den Schultern. » Ob’s mir was bringt.«
» Gefühle zu haben? Meinst du das? Wieso sollte es dir nichts bringen, Gefühle zu haben?«
» Ich habe keine Lust auf Trauer oder so. Verstehst du?«
» Als wenn man das selbst entscheiden könnte.«
» Machst du Witze? Guck dich an! Dir ist auf hundert Meter Entfernung anzusehen, dass du selbst es perfekt drauf hast, dich richtig kalt zu machen. Wie hättest du sonst überleben sollen? Kannst du mir das mal verraten? Erst deine Schwester. Und jetzt die Sache mit deiner Freundin. Jeder normale Mensch wäre an deiner Stelle durchgedreht. Aber dass du ruhig bleibst, das verbindet uns. Das macht uns stark. Das macht uns unbesiegbar. Und genau darum…«
» Uns verbindet überhaupt nichts.«
» Da irrst du dich.«
» Ach ja?«
Sie nickte. » Wir wollen beide herausfinden, wer die Widerwärtigen sind.«
» Welche Widerwärtigen?«
» Na, die Widerwärtigen! Die Mädchen in den Wald verschleppen und andere dazu bringen, sich für sie zu opfern.«
Louis starrte Maya an. Was wusste sie? Was zum Teufel ging hier eigentlich vor? » Du meinst, es sind mehrere? Nicht nur ein vollkommen verrückter Wahnsinniger?« Jetzt wollte er doch besser erst die Polizei rufen, damit die Michelle fanden und die Spuren sicherten. Auch wenn er sich davon nicht allzu viel versprach. Er kramte in seinem Rucksack nach dem Handy. Als er es hatte, konnte
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