Der Atem der Angst (German Edition)
aussah. Seine Haare standen verwuschelt vom Kopf ab. Seine Armbanduhr hatte er auf den Beistelltisch gelegt. Das hatte er früher immer getan, weil sie viel zu laut tickte. So oft hatten Heidi oder er die Uhr wie ein verspieltes Kätzchen aus dem Schlafzimmer getragen, um endlich Schlaf zu finden.
Sie zögerte. Sollte sie sich neben ihren Mann setzen und warten, bis er wach wurde? Sollte sie lieber stehen bleiben, die Arme demonstrativ vor der Brust verschränken und mit harter Stimme in seinen Schlaf hineinfragen: » Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
Weil sie es einfach nicht wusste, nahm Heidi ihr Handy vom Esstisch. Henner hatte bereits zweimal angerufen und alarmiert auf ihre Mailbox gesprochen, dass die weit ausgedehnte Suche nach ihrem Sohn bisher ergebnislos geblieben sei. Auch von Michelle gab es bisher keine brauchbare Spur. Meine Güte, sie hatte ganz vergessen, ihrem Kollegen mitzuteilen, dass zumindest Winnie wieder aufgetaucht war! Schnell tippte sie ihm eine SMS . » Habe Winnie gerade gefunden.«
Mehr ging nicht. Erst wollte sie diese seltsame Situation mit ihrem Mann hinter sich bringen. Sollte sie ihn hier über Nacht auf dem Sofa schlafen lassen und mit einer Wolldecke zudecken? Sollte sie das Licht ausschalten und sich oben allein ins Bett legen? Ohne ihren Mann? Heidi schluckte. Warum das alles? Warum konnte sie nicht für einen Moment die Zeit anhalten und ihr eigenes, kleines Leben in Ordnung bringen, bevor sie wieder da draußen für Ordnung sorgte?
Mit einem Mal hatte Heidi Angst, Eric könnte am frühen Morgen wieder verschwunden sein, so als sei er nie hier gewesen. Sie vermisste ihn jetzt schon. Wie niedlich er schlief! Lieber ließ sie sich von ihm bittere Vorwürfe machen. Es war gut, einen Mann im Haus zu haben. Einen, den sie, trotz seiner ewigen Vorwürfe, immer noch liebte. Wie nur, wie hatte es so weit mit ihnen kommen können?
Heidi sah ihren Mann zärtlich an, all die vergangenen Glücksmomente schossen ihr ins Gedächtnis. Ihre Träume und Hoffnungen. Wie sie miteinander gelacht hatten. Wie sie die Ringe getauscht hatten. Sie hatten sich doch versprochen, sich immer zu lieben. Wie sie Winnie kurz nach seiner Geburt zum ersten Mal im Arm gehalten hatten.
Heidi flüsterte: » Ich liebe dich.«
Eric öffnete blinzelnd die Augen, ohne den Kopf vom Kissen zu nehmen, und sah sie fragend an. » Was ist los?«
40 . BELLA
Bella hatte sich den Wecker auf sieben Uhr dreißig gestellt. Als er klingelte, schlug sie sofort die Augen auf. Zum ersten Mal seit Langem hatte sie vor dem Zubettgehen keinen Schnaps getrunken. In weicher Müdigkeit war sie gegen ein Uhr nachts ins Bett gefallen, hatte sich ihre ausgebeulte Jogginghose von den Beinen gestrampelt, sich das Sweatshirt im Liegen über den Kopf gezogen und in Unterwäsche unter der Decke wohlig zusammengerollt. Keine Minute später war sie tief und fest eingeschlafen, so fest wie schon seit sieben Jahren nicht mehr. In sich hatte sie einen unglaublichen Frieden empfunden, der sie nun auch lächelnd aufwachen ließ. Der Schmerz war weg. Heute Morgen saß er nicht schon auf d er Be ttkante und begrüßte sie mit einem höhnischen Grinsen.
Sie zog die am Fußende liegende Jogginghose an, dann gleich wieder aus. Nein, zur Feier des Tages wollte sie sich etwas Hübsches anziehen. In Unterwäsche ging sie hinüber ins Bad, duschte sich, wusch sich die Haare, schminkte sich und zog sich im Schlafzimmer eine frische Jeans an, die sie das letzte Mal vor sieben Jahren gewaschen hatte, eine Bluse und eine Strickjacke darüber.
Um acht Uhr war sie mit Frau Beringer verabredet, um ihr wie jeden Freitagmorgen die Haare zu machen. In der Küche deckte sie den Frühstückstisch für sich und Louis, der jeden Augenblick die Treppe herunterkommen musste. Er war spät dran, die Schule begann um Viertel nach acht.
Nachdem Bella den Toast und die Marmelade auf den Tisch gestellt hatte, ging sie raus in den Flur. Ihre Stimme klang hell, beinahe jugendlich. » Lou?«
Als keine Antwort kam, ging sie nach oben, öffnete vorsichtig seine Zimmertür und steckte den Kopf ins Zimmer. » Lou, mein Schatz?«
Sein Bett war leer. Bella versuchte sich zu erinnern, wann sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Gestern Abend. Er hatte ihr einen Kuss auf den Hinterkopf gegeben. Dann war er verschwunden. Hatte er gesagt, wohin er wollte?
Bella lief die Treppe wieder runter, nahm ihr Handy und rief ihren Sohn an. Aber da ging sofort die Mailbox ran. Wo war
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