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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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er nur noch feststellen, dass der Akku leer war. Jetzt funktionierten nicht mal mehr die einfachsten Dinge. Wieso war das Leben bloß so anstrengend? Wenigstens eine Steckdose im Wald, das wär’s gewesen, um ihm ein klein wenig Erleichterung zu verschaffen. Kraftlos reichte er Maya ein eingewickeltes Brot. » Okay. Ich habe von gestern noch so viel behalten, dass irgendetwas innerhalb der Clique unserer Eltern passiert ist, weswegen meine Schwester sterben musste und du in Gefahr warst. Richtig?«
    Maya nickte und besah sich das Butterbrot. Dann biss sie ganz zart ab und kaute andächtig. » Richtig. Also floh mein Vater mit mir hinauf in die Wälder. Von da an sind wir nur noch unterwegs gewesen, damit uns die Widerwärtigen nicht finden. Kein Telefon, keine Kreditkarten, nichts. Wir haben von dem gelebt, was die Natur hergab.«
    » Muss ein ziemlich hartes Leben sein.« Louis blickte Maya mit einem Anflug von Bewunderung an. Es nötigte ihm Respekt ab, wie lange sie es geschafft hatte, zu überleben. » Hast du eine Ahnung, warum Michelles Eltern damals nicht ebenfalls abgehauen sind? Schließlich gehörten sie auch zur Clique.«
    Maya schüttelte den Kopf. » Vielleicht dachten sie, sie hätten nichts zu befürchten. Vielleicht hatten sie mit der Sache auch nicht direkt etwas zu tun? Ich weiß ja nicht mal, was damals passiert ist. Das hat mir mein Vater nie erzählt. Er meinte, es sei gut, wenn ich so wenig wie möglich wüsste.«
    Louis zog die Stirn in Falten. » Und doch weißt du hundertmal mehr als ich.«
    » Hm.« Maya wiegte ihren Kopf. » Ich weiß nicht mal, wer noch zur Clique gehörte.«
    Louis zerknüllte die Folie, in die das Brot eingewickelt war. In seinem Kopf drehte sich alles. Ergab das, was diese Maya erzählte, überhaupt einen Sinn? Konnte es tatsächlich sein, dass in der Vergangenheit seiner Eltern und ihrer Freunde ein Geheimnis existierte, für das seine Freundin jetzt hatte sterben müssen? Aber seine Mutter hätte ihm bestimmt davon erzählt. Garantiert waren das Hirngespinste eines Mädchens, das zu lange allein im Wald gelebt hatte.
    » Wir müssen herausfinden, was damals passiert ist«, sagte Maya, die sich plötzlich vor Louis gekniet hatte, ihn nun bei den Schultern packte und eindringlich ansah.
    » Was soll das jetzt noch bringen«, antwortete er. » Michelle ist tot.« Mit einem Mal spürte Louis in sich eine nie gekannte Hoffnungslosigkeit, die so stark war, dass er bereit war, sich ihr kampflos zu ergeben. Er senkte den Kopf, aber Maya schüttelte ihn wie jemanden, den man zur Besinnung bringen musste. » Louis! Für dieses Geheimnis mussten wir alle leiden! Ich hätte nicht sieben Jahre im Wald leben müssen….«
    » Und Michelle würde noch leben«, vollendete er flüsternd ihren Satz.
    Er schaute auf wie jemand, der um Gnade bat. Um Gnade und Erlösung. Maya sah ihn immer noch an, als warte sie auf etwas. Als wollte sie ihn nicht so leicht entwischen lassen. So viel Kraft lag in ihrem Blick, so viel Wut und Entschlossenheit. Dieser Blick erinnerte ihn an sich selbst, den Louis, der er vor ein paar Tagen noch gewesen war. Bevor man ihm das Liebste auf der Welt genommen hatte. Um sich nicht von ihrem Tatendrang anstecken zu lassen, wich Louis ihrem Blick aus. Er war so müde. Er konnte nicht mehr.
    Aber Maya ließ nicht locker. Wieder schüttelte sie ihn, wie einen Bewusstlosen, der wieder zur Besinnung kommen sollte. » Willst du denn nicht ihre Mörder finden?«, fragte sie.

42 . NIEMAND
    Frühmorgens hatte er ein Stück entfernt am Straßenrand geparkt, sodass er die Haustür unbemerkt im Auge behalten konnte. Langsam machte ihn das Warten schläfrig. Zu gerne hätte er ein kleines Nickerchen gemacht, um danach wieder hellwach zu sein. Aber er durfte die Tür nicht aus den Augen lassen, um nicht zu verpassen, wenn Winnies Vater endlich das Haus verließ. Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr, die er um sein künstliches Handgelenk geschnallt hatte. Es war beinahe halb elf durch. Die Wohnstraße war menschenleer. St. Golden lag wie ausgestorben da. Nur ein paar Schulkinder waren kurz vor acht an seinem Wagen vorbeigerannt. Immer in kleinen Grüppchen. Damit keins der Schäfchen verloren ging.
    Sein Magen knurrte.
    Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren hatte er auf sein Spezialfrühstück verzichtet, bestehend aus einem Toast, einem wachsweichen Ei und selbstgekochtem Holundergelee. Die Herstellung des blutroten Gelees hatte er von seiner Mutter gelernt.

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