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Der Atem der Angst (German Edition)

Der Atem der Angst (German Edition)

Titel: Der Atem der Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexa Hennig von Lange
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weil er nicht mehr länger auf sie hatte warten wollen. Sie wollte hier nicht allein im Wald zurückbleiben, nur, weil sie ihn verpasst hatte! Sie wollte ihm erzählen, was sie Furchtbares entdeckt hatte. Aber auch von sich wollte sie ihm erzählen. Dieses drängende Bedürfnis, jemand anderem erzählen zu wollen, was im Verlauf des Tages passiert war, war vollkommen neu und quälend. Was, wenn sie ihn nie wieder sah?
    Sie lief am Bach entlang, direkt auf ihre Höhle zu. Erst als sie sich bis auf hundert Meter genähert hatte, verlangsamte sie ihre Schritte. Auch wenn ihre Ungeduld und Neugier, ob Louis da war, sie antrieb, weiterzulaufen, war es lebenswichtig, sich vorsichtig zu nähern, mit allen Sinnen wahrzunehmen, nichts zu überhören oder zu übersehen, was anders war als sonst. Auf den letzten Metern schlich sich Maya geduckt an ihre Behausung heran und legte den Rehbock neben der Feuerstelle ab. Behutsam trat sie auf, um sich nicht durch das Brechen trockener Äste zu verraten. Mit angehaltenem Atem presste sie sich an die Felsspalte und spähte in die dämmrige Höhle hinein. Ihr Herz schlug bis zum Hals. War er da?
    Stück für Stück schob sie sich, eng an die kalte Höhlenwand gedrückt, durch den Spalt und wartete, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Nein, sie entdeckte nirgends einen menschlichen Umriss. Niemanden, der auf den Fellen hockte. Enttäuscht nahm sie den Bogen von der Schulter. Erst jetzt spürte sie, wie groß ihre Hoffnung gewesen war, Louis hier sitzen zu sehen. Maya schluckte. Es war alles eine Illusion gewesen, ein einziger, kurzer, heftiger, süßer Traum vom gemeinsamen Leben im Wald. Von Wärme und Geborgenheit und Schutz. Nein! Sie war das Mädchen, das allein in der Höhle den Winter überstehen musste. Mit einem Teddy. Punkt.
    Hinter Maya verdunkelte sich, von ihr unbemerkt, der Höhleneingang. Jemand war dicht hinter ihr und kam tastend auf sie zu.
    » Hey.«
    Maya fuhr herum und in der Bewegung zog sie ihr Jagdmesser. Warnend hielt sie es in die Höhe. » Bleib, wo du bist, oder ich töte dich!«
    » Hey! Was soll das?« Abwehrend hob Louis die Hände und machte einen Schritt zurück. In einer Mischung aus Kampfbereitschaft und Erstaunen blickte er sie an. » Ich bin’s doch.«
    » Besser, du schleichst dich nächstes Mal nicht so an.« Maya nahm das Messer herunter und steckte es zurück in den Gürtel. » Hab dich hier im Dunkeln nicht erkannt.«
    Maya drehte sich um und verschwand in den hinteren Teil der Höhle, wo sie sich auf die Felle setzte. Von der Sehnsucht nach Louis war urplötzlich nicht mehr viel übrig. Stattdessen spürte sie Scham und eine Welle heißer Wut durch ihre Eingeweide fließen. Er hatte ihre Angst gesehen. Selbstsicher wirkte sie jetzt bestimmt nicht mehr auf ihn. Darum fügte sie noch ärgerlich hinzu: » Ich hätte dich abstechen können!«
    » Tut mir leid. War dumm von mir.«
    » Mach das nie wieder, hast du mich verstanden?« Maya funkelte in Louis Richtung. Sie wusste gar nicht, woher diese plötzliche Aufregung kam. Am liebsten wäre sie an Louis vorbei aus der Höhle gerannt, um ihren Kopf ins eisige Bachwasser zu tauchen. Ihr war nach Abkühlung zumute.
    Er stand noch immer im Höhleneingang und lächelte belustigt. » Okay. Kannst du dich jetzt wieder abregen? Ist ja nichts passiert.«
    » Da kannst du von Glück reden«, grummelte sie. » Du weißt ja nicht, wie es ist, sein halbes Leben auf der Hut zu sein.«
    Louis kam näher und setzte sich neben Maya auf die Felle. Er stieß sie leicht mit der Schulter an. » Sei nicht böse. Bitte.«
    Maya schwieg und biss sich auf die Unterlippe. Nein, sie wollte nicht böse auf ihn sein. Es gab ja gar keinen Grund, böse auf diesen Jungen zu sein. Im Gegenteil. Er war zurückgekehrt. Wie er es versprochen hatte. Eigentlich war das ein absoluter Grund zur Freude.
    Louis zog den Reißverschluss seines Rucksacks auf und legte das Fotoalbum vor sie hin. » Ich hab was gefunden, das uns vielleicht weiterhelfen könnte.«
    » Ein Fotoalbum?«
    » Ja.« Louis strich sanft mit den Fingerspitzen über den Blümchenstoff. » Es ist von meiner Mutter. Sie hat damals alle Bilder von ihrer Clique hier eingeklebt.«
    Maya blickte auf. » Ich… ich habe auch etwas gefunden.« Sie wollte Louis unbedingt von der Hand erzählen, dem Mädchen, das da oben am Bergsee unter der Erde lag, damit er nicht der Einzige war, der etwas herausbekommen hatte. Sie wollte alles aus sich rauserzählen, sie war

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